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Paragraf 301

Paragraf 301

Titel: Paragraf 301 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Eggers
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haben die Araber, wissen Sie«, aber nun seien sie aus dem Ausländerviertel, in dem sie gewohnt hatten, »Allah sei Dank« endlich fort, sie wohnten in der gleichen Straße wie der Bundestagsabgeordnete der CDU, der Hemmstedt in der Hauptstadt vertreten würde, im Schwedenviertel. Sie hatten es geschafft, den Aufstieg in die Mittelklasse. Kaya deklinierte seine Familie durch, die demnächst weiter wachsen werde, denn er werde seine Tochter verheiraten, mit Emin Gül, zu dem Kaya sich gutmütig lachend umdrehte, und der Herr Rechtsanwalt und seine Frau seien natürlich herzlich eingeladen zur Hochzeitsfeier, die am 25. März stattfinden werde. »Es wird ein grandioses Fest!«, erklärte Kaya stolz. »Mit vielen Gästen.« Man müsse rechtzeitig planen.

    Er werde seinen Terminkalender fragen, wich Schlüter aus, und seine Frau den ihrigen, man werde dann Bescheid geben. »Wissen Sie«, sagte Schlüter vage, »meine Mutter in Husum …« Ausgerechnet jetzt fällt mir meine Mutter ein, dachte er und fragte, ob Gül nicht Kayas Neffe sei. Ja, das sei er, natürlich, erklärte Kaya, aber nicht ein Neffe, wie man das in Deutschland verstehe. »Unsere Familien sind größer, wissen Sie. Wenn die beiden geheiratet haben, gehört die ganze Familie zusammen«, freute er sich. Dann sind die Schwierigkeiten, von denen die junge Frau gesprochen hatte, wohl beseitigt, dachte Schlüter und versuchte, Veli Adaman zu vergessen und sich auf den bevorstehenden Termin zu konzentrieren.
    Er prozessierte nur, wenn er siegessicher war, denn er war ein schlechter Verlierer, und die zweite Instanz, gar das Oberlandesgericht, ließ er sich nur von der Gegenseite aufzwingen. Die Amtsgerichte fällten oft genug Fehlurteile, aber man kannte die Richter und wusste, worauf man sich einließ. Schon beim Landgericht war man vom Leben und seinen Tatsachen so weit entfernt, dass man die Ergebnisse nicht immer voraussehen konnte, aber prozessierte man vor dem Oberlandesgericht, war mit überraschenden Gesetzesauslegungen zu rechnen. Dort wurde unter Umständen unter Zuhilfenahme direkt vom Herrgott abgeleiteter Gerechtigkeitsgedanken entschieden, oder, wenn den Richtern ein Gesetz nicht gefiel, legten sie es im Wege der berühmten teleologischen Reduktion aus, um Weihnachtsmänner zu Osterhasen zu machen. Dort war man wie auf hoher See in Gottes Hand.
    Doch heute war Schlüter guten Mutes; er hatte sich die Rechtslage gründlich erarbeitet und war überzeugt, Gül vor der türkischen Strafverfolgung retten zu können – obwohl er einen solchen Versuch heute das erste Mal machte.
    Schlüter war lange nicht in Celle gewesen. Das Gebäude am Schlossplatz 2 war ein nüchtern weiß getünchter viereckiger Kasten, dem man das hohe Gericht erst glaubte, wenn man das Schild am Haupteingang sah: Oberlandesgericht Niedersachsen. Sie stiegen die kleine Freitreppe hinauf, betraten das Gebäude und ließen sich vom Pförtner den Weg zum Klo und zum Sitzungssaal weisen.
    Die Tür stand offen; ein großzügiger Raum mit breiter Fensterfront und neuen Möbeln, gediegener Holzvertäfelung. Ein Treppchen führte hinunter wie in einen Kerker. Drinnen trafen sie auf einen Mann, den Schlüter für den amtlichen Dolmetscher hielt, denn er war ein türkischer Typ mit olivgrünem Mongolengesicht. Ganz am linken Ende des noch leeren Richtertresens saß die Protokollführerin und gähnte, eine Frau mit breitem Gesäß.
    Schlüter wünschte beiden einen guten Tag und wies Gül den Platz neben sich zu, auf der rechten Seite der vor dem Richtertresen aufgestellten Tischchen. Kaya – ansonsten gab es keine Öffentlichkeit – setzte sich in die zweite Reihe der Zuschauerstühle und der Dolmetscher nahm links neben Gül Platz.
    Es war still, nur Güls Lederjacke knarrte verhalten, obwohl er sich nicht zu bewegen schien. Schlüter überlegte, ob er heute noch rechtzeitig für eine ordentliche Tasse Tee wieder zu Hause sein würde. Eher nicht.
    Zehn Minuten über der angesetzten Zeit öffnete sich die in der rückwärtigen Holzvertäfelung eingelassene Tür und spie das Gericht aus, das aus drei Menschen mit geschnitzten Gesichtern bestand, zwei Frauen und ein Mann. Offenbar der Vorsitzende, denn er steuerte den mittleren Richterstuhl an, ein müde wirkender Herr mit Altersflecken im Gesicht und zerzausten Haarresten von unbestimmter Farbe, der sogleich durch Handzeichen den Verzicht auf das unterwürfige Strammstehen bedeutete: Man möge sich setzen. Wo ist das eigentlich

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