Parallelgeschichten
in zügigem Tempo arbeiten. Kaum war das Holz aus Gottliebs in Liquidation befindlichem Lager geliefert worden, stellte sich natürlich gleich heraus, dass es schwieriger war als erhofft, die verwaiste Werkstatt seines Vaters wieder in Betrieb zu nehmen. In den langen Jahren, während derer die Werkstatt leer gestanden hatte, war der Wilde Wein unter den Dachraum gekrochen, auch zwischen die Dachziegel, die Spalten des Dachbalkens und die Öffnungen im Dachstuhl, durch die Risse in den sonnengetrockneten Ziegelsteinen, durch die Lücken des Dachgebälks und der Bohlen, und hing wie ein Vorhang von der Decke. Es war schön, eindrucksvoll, und nicht schwer zu entfernen. Aber auch die Wände waren von den Ranken überwuchert, die Werkzeugregale, die Maschinenbestandteile, jeden Gegenstand hatten sie mit ihren Haftscheiben gepackt. Madzar konnte nicht einfach darüber herfallen, konnte die Ranken nicht ungestraft von den Gegenständen reißen; Werkzeug, Schachteln, Regale flogen und stürzten mit, es hagelte Schrauben und Nägel.
Trotzdem wollte er nichts übereilen. Und so wurden erst zum Spätherbst die letzten wichtigen Stücke fertig, knapp vor dem Abreisetermin.
Vor seiner Abreise hatte er gerade noch Zeit, die Gegenstände an die im Voraus ausgemessenen Plätze zu stellen und die Fotografin zu bestellen.
Das war auch besser so, Frau Szemző und er hatten keine Zeit mehr für einen gefühlvollen Abschied.
Was ihr gegenseitiges Entzücktsein noch vergrößerte.
Sie würden sich nie wieder sehen, ein Glück, dachten sie, während sie sich in die Augen blickten, aus dieser Begegnung waren sie fast ungeschoren herausgekommen.
In jener frühen Aprilwärme hatte sich Madzar zuerst die Stühle und Sessel vorgenommen. Bald wurde es wieder kühl, es regnete viel, er musste in der Werkstatt sogar hin und wieder den Kanonenofen mit Spänen beheizen. Stühle, das war für ihn das Aufregendste, Lustvollste. Die Nachrichten im Radio hörte er kaum, auch die örtliche Zeitung nahm er selten in die Hand, damit ihn die erschreckenden Berichte bei der Arbeit nicht störten. Manchmal erfuhr er erst Tage später, was um ihn herum geschah. Die strategischen Absichten der Deutschen sah er wie eine gegenständliche Form oder eine Struktur. Es war klar, dass es Krieg geben würde. Die Welt mit revisionistischen Forderungen unter Druck setzen, als gäbe es noch eine Chance für eine friedliche Lösung. Er brauchte nicht Bellardi, um von der Gefährlichkeit des deutschen Expansionismus überzeugt zu sein. Sein ästhetischer Kampf gegen die dekorative Dekadenz ließ ihn angesichts der drohenden Gefahr doch eine Art Gleichmut bewahren. Über Bellardis törichte Reden ärgerte er sich hingegen immer noch. Er konnte das viele unreife und ungereimte Zeug, das so ein verwöhnter Aristokrat zusammenträgt, nicht vergessen. Verglichen mit einem derartigen Infantilismus war Frau Szemzős gradlinige, wenn auch ungewohnt spekulative Denkweise doch höher zu achten. Vor allem Bellardis dramatisch patriotisches Verantwortungsgehabe ekelte ihn an, das war doch, wie immer man es betrachtete, nichts als leerer, affektierter Selbstgenuss, genauso wie bei Tonio Kröger. Madzar erfuhr mit zwei Tagen Verspätung, dass nach Wien Prag an der Reihe war, obwohl sich die Tschechen zur Wehr setzten und motorisierte Einheiten an der Grenze nach Ungarn und Deutschland konzentrierten. Aber vielleicht war auch das nur eine Provokation. Selbst während der Arbeit wurde er den Gedanken nicht los, dass er doch besser sofort packen sollte, und er sah sich, wie er in Genua das letzte Schiff noch erreichte.
Einige Tage lang verfolgte er die Nachrichten, kaufte auch das elende Lokalblättchen.
An Frau Szemző versuchte er während der Arbeit nicht zu denken, er wollte vergessen, dass er diese Möbel für sie anfertigte. Interessanterweise würden die Stühle schwerer werden als es den Anschein machte. Er musste aufpassen, dass die Arbeit nicht zu einem Liebesgeständnis wurde. So etwas fand er lächerlich. Da stellt er Dinge aus einem Schwellenholz her, das Kriegsvorbereitungen dienen müsste. Er versuchte über diese teuflische Grimasse des Schicksals zu lachen, aber der Zufall, der ihm das Holz in die Hände gespielt hatte, schien ihm so unheilverkündend, dass ihm das Lachen in der Kehle steckenblieb. Heimlich rechnete er doch damit, dass Bellardi sein Versprechen einlösen und unerwartet auftauchen würde, um seine Antwort zu hören.
Es ging um Millimeter,
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