Paranoia - Hoer Auf Ihre Stimme
nickte schließlich. Sie hatte schon immer ein Gespür dafür gehabt, wann sie sich zurückhalten musste.
Sie nahm seine Hand. »Ich sage die Sitzung sofort ab.«
»Danke.«
Tolan ließ sie stehen und ging in sein Büro.
Eine Selbstanalyse war nicht ungefährlich, doch Tolan wusste, dass er sich einer kritischen Prüfung unterziehen musste. Offensichtlich war er dabei, den Bezug zur Realität zu verlieren.
Das Gesicht, das er gesehen, die Stimme, die er gehört hatte, waren eindeutig Abbys, doch die Patientin in diesem Raum war eindeutig nicht Abby. Nachdem er sich zusammengerissen und sie einer genaueren Betrachtung unterzogen hatte, sah er nichts weiter als eine zierliche, gar nicht unattraktive junge Frau, die nur entfernte Ähnlichkeit mit seiner verstorbenen Ehefrau hatte.
Warum hatte er dann diese Vision gehabt?
Lag es an diesem Tag? War es möglich, dass Abbys Todestag ihn derart mitnahm?
Du. Du hast mich verletzt.
Es stimmte. Er hatte Abby verletzt. Viele Male, in den letzten Monaten ihrer Ehe. Die größte aller Verletzungen war Verrat gewesen. Ein Verrat, von dem sie nie erfuhr. Denn in der Nacht, in der sie starb, war Tolan nicht allein.
Als die Polizei anrief, um ihm die tragische Nachricht zu übermitteln, dass man sie in ihrem Studio gefunden hatte – ermordet, ihr Körper brutal zerstückelt –, war die Dusche im Badezimmer hinter ihm voll aufgedreht. Darunter stand eine Frau, die er erst wenige Stunden zuvor kennengelernt hatte.
Noch war nichts passiert, das konnte er sich zugutehalten. Noch kein großer Einsatz, kein Austausch von Körperflüssigkeiten, doch der Vertrauensmissbrauch war längst geschehen. In jenen letzten Stunden war er zu genau der Sorte Mann geworden, die er immer verachtet hatte. Ein Betrüger. Ein Aufreißer. Ein Lügner.
Du. Du hast mich verletzt.
Er war zu einem geschäftlichen Treffen nach Los Angeles gereist. Sein Buch ›Welche Farbe hat Ihre Wut?‹ war überraschend zu einem New-York- Times -Bestseller geworden. Einige Fernsehauftritte auf mehreren Kanälen hatten ihn bekannt gemacht. Bei Signierstunden, zu denen normalerweise nur ein paar Leute kamen, standen die Fans nun Schlange bis zum nächsten Block. Prominente, die er eigentlich nur aus dem Fernsehen oder aus dem Kino kannte, riefen an und wollten sich mit ihm treffen.
Es war eine ziemlich berauschende Erfahrung, und Tolan ging nicht richtig damit um. Wie so viele andere, die über Nacht berühmt wurden, ließ er sich allmählich von dem ganzen Wirbel um seine Person beeindrucken und verlor das Wesentliche aus dem Blick.
Immerhin war er ein aufsteigender Star – der George Clooney der Ärzte. So hatte ihn zumindest der Moderator einer Talkshow genannt. Seine Beliebtheitsquote bei Frauen zwischen 22 und 50 schoss in die Höhe. Er war der Mann der Stunde. Der neue Guru in den Medien.
Im Nachhinein fand er das alles ziemlich lächerlich. Sein Stern glühte ein wenig heller und heißer, als es hätte der Fall sein dürfen, und drohte ein Loch in seine vierjährige Ehe zu brennen. Das Zusammenleben mit ihm wurde immer schwieriger, Abby und er hatten regelmäßig Streit. Sie lieferten sich erbitterte Kämpfe. Doch keiner war so erbittert wie der Streit an jenem Abend, an dem sie starb.
Er hatte ihr vorgeworfen, sie würde ihn betrügen. Sie hatte heftig widersprochen. Doch die Farbe seiner Wut war Schwarz, schwarz wie eine verlorene Seele. Er war einer vernünftigen Unterhaltung nicht mehr zugänglich gewesen.
Eigentlich hatte er geplant, sich erst am nächsten Morgen nach Los Angeles auf den Weg zu machen und die drei Stunden in einem durchzufahren, doch er war noch am frühen Abend aufgebrochen. Unterwegs hätte er beinahe einen Unfall verursacht.
Sein Meeting war für elf Uhr am Morgen angesetzt, ein informativer Austausch mit Geldgebern von Paramount, die ihn in einer täglichen Talkshow ganz groß herausbringen wollten.
Nachdem er im Beverly Wilshire Hotel eingecheckt hatte, ging er gleich in die Hotelbar, um seinen Ärger mit etlichen Drinks hinunterzuspülen. Und er schaffte eine Menge.
Er hatte schon eine ganze Weile an der Bar gesessen, als eine sanfte Stimme hinter ihm sagte: »Sind Sie nicht dieser Arzt, der das Buch geschrieben hat?«
Er drehte sich um. Neben ihm stand eine umwerfend aussehende junge Frau, ungefähr 26 Jahre alt. Sie kam ihm vage bekannt vor, wohl aus dem Fernsehen oder aus dem Kino. Die Boulevardpresse hätte sie vermutlich als Starlet bezeichnet.
»Tolan,
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