Paranoia - Hoer Auf Ihre Stimme
Firma zu tauchen, war grundsätzlich zwar ein zweifelhaftes Unterfangen – Blackburn konnte ein Lied davon singen –, aber wenn schon, denn schon.
»Er will nicht, dass ich mir Sorgen mache«, sagte sie. »Deshalb erzählt er mir nicht, was los ist. Ich hoffe also, Sie tun es.«
Oho. Auf keinen Fall wollte Blackburn zwischen die Fronten geraten. Und er würde ihr ganz sicher nichts von Vincent erzählen.
»Da kann ich nur sagen, sorry, Ma'am, aber das ist Sache der Polizei.«
»Und das heißt?«
»Dass es nicht Ihre ist.«
Die Antwort gefiel ihr nicht. Einen Augenblick lang flammte Zorn in ihren Augen auf, doch sie beruhigte sich schnell wieder. Blackburn hatte das Gefühl, dass sie es öfter so machte. Ihren Ärger unter Verschluss hielt, ihn kontrollierte. Sie erinnerte ihn an seine zweite Frau, nach außen hin immer perfekt, bis die Fassade schließlich bröckelte. Als Andenken hatte er eine Narbe am Kopf.
»Ich bin seit über fünfzehn Jahren Krankenschwester in der Psychiatrie, Detective. Ich habe im County General gearbeitet, schlimmer geht es wirklich nicht. Also werde ich wohl verkraften, was immer Sie alle hier geheim halten wollen.«
Blackburn schüttelte den Kopf. »Bedaure, Ma'am, aber ich kann Ihnen nichts sagen. Der Doc wird Sie sicher zu gegebener Zeit einweihen.«
Als gerade von gegebener Zeit die Rede war, öffnete sich die Tür, und Tolan kam herein. Offensichtlich überrascht, sie beide hier vorzufinden, zögerte er einen Moment lang und sah von einem zum anderen.
»Störe ich?«
»Ich wollte gerade gehen«, sagte Lisa. Sie warf noch einen Blick auf die Psycho-Tante und sah Tolan dann streng an. »Denk an unsere Verabredung zum Essen.« Sie wandte sich an Blackburn. »Es war nett, Sie wiederzusehen.«
War auch nett, Sie wiederzusehen, dachte Blackburn.
Tolan sah ihr nach. Er wirkte wie ein ungezogenes Kind, das gerade einen Tadel von seinem Lehrer hatte einstecken müssen. Vielleicht stand ihm auch noch eine Tracht Prügel bevor.
»Wenn Sie sich die warmhalten wollen«, sagte Blackburn, »sollten Sie vielleicht mal mit ihr reden. Und zwar bald.«
»Bei allem Respekt, Detective, aber Sie sind wirklich der Allerletzte, den ich bei Beziehungsfragen um Rat bitten würde.«
»Weil Sie schlau sind«, antwortete Blackburn.
26
Vincent musste beinahe lachen.
Er hatte schon eine ganze Weile dort gesessen und das hektische Treiben rings um die Klinik beobachtet, die Ankunft des zivilen Vans der Polizei, die Techniker.
Alles wegen ihm. Weil er genial war. Welch ein Spaß, dass sie gar nicht wussten, wie nahe er ihnen war! Zum Greifen nah.
Was sich dort abspielte, hatte er in seinem Leben schon mehrere Dutzend Male gesehen. Es war fast schon Routine, doch er genoss den Aufruhr noch ebenso wie nach seinem ersten Mord, vor so vielen Jahren. Das kleine Eiscreme-Mädchen.
Seltsamerweise erinnerte ihn eine der Ermittlerinnen an sie. Die mit dem blassgelben Haar. Doch im Gegensatz zu dem Eiscreme-Mädchen hatte sie es zu einem straffen Pferdeschwanz gebunden. Außerdem wirkte sie ziemlich intelligent. Sachlich. Stets kontrolliert. Das gefiel ihm.
Er hatte die Polizei immer gern beobachtet. Diese Besorgnis, gepaart mit Aufregung. Dieses zielgerichtete Handeln. Als ob sie ihn dieses Mal tatsächlich erwischen könnten.
Oh, sie würden ihn erwischen. Und zwar früher, als sie dachten.
Schon bald wäre Vincent van Gogh nur noch in den Annalen der Gegend zu finden, in den Zeitungsarchiven, und in der Erinnerung der Familien, die von seiner Kunst berührt worden waren. Von seiner Genialität gesegnet.
Und irgendwo, in einer anderen Stadt, in einem anderen Staat – vielleicht sogar in einem anderen Land – würde Vincent wiedergeboren werden. Geläutert durch seine Fehler. Stärker. Begabter, als er es sich jemals hätte träumen lassen. Wer weiß, welchen Namen sie ihm dann geben würden.
»Ihre Freundin hat gesagt, die Kleine erinnere sie an jemanden. Irgendeine Ahnung, an wen?«
Tolan ignorierte die Frage. In Gedanken versunken stand er am Computer und ging die Aufzeichnungen durch.
Blackburn machte noch einen Versuch. »Wann erzählen Sie die schlechte Nachricht, Doc? Verschwenden wir hier nur unsere Zeit?«
Tolan blickte auf. »Schwer zu sagen. Die toxikologische Untersuchung zeigt keine Spuren von Drogen oder Alkohol, körperliche Schäden können wir also ausschließen.«
Blackburn fielen die verschwundenen Einstiche wieder ein, und er dachte plötzlich nicht nur über eine
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