Paranoia - Hoer Auf Ihre Stimme
Handtasche.
Einen Moment lang stand sie reglos da. Dann schüttelte sie den Kopf. »Das ist ein Witz, oder? Das sind nicht meine.«
Doch ihm war nicht nach Witzen zumute. Als sie sich dessen bewusst wurde, veränderte sich ihr Gesichtsausdruck. Schmerz. Schuld. Angst? Er hätte es nicht sagen können.
»Wer ist es?«, fragte Tolan.
»Niemand, Michael! Du weißt, ich würde dich nicht –«
»Einer deiner Kunden? Dieser Gitarrist? Hast du ihn für einen Quickie mit in die Dunkelkammer genommen?«
Abby starrte ihn unbeweglich an. »Glaubst du das wirklich?«
Tolan gab keine Ruhe. Er fragte sie immer wieder, regte sich immer weiter auf. Sie stritt alles ab und versicherte ihm, dass sie ihn niemals auf diese Weise hintergehen würde. Doch alle Unsicherheiten in Bezug auf seine Ehe, alle Zweifel und alle Sorgen, die Tolan jemals verspürt hatte, steigerten sich zu einer derart verzehrenden Wut, dass er am ganzen Körper zu zittern begann. Er hatte Abby angeschrien, und geschockt von seinem Benehmen, schrie sie zurück –
– bis er eine Grenze überschritt. Er wusste, seine Worte würden sie bis tief ins Mark treffen.
Du. Verdammte. Nutte.
Daraufhin schlug Abby ihn. Mitten ins Gesicht. Mit Tränen in den Augen.
Und dann … Nichts mehr.
Die Ohrfeige war das Letzte, woran sich Tolan erinnerte, bevor ihn auf dem Highway 101 das Geräusch einer Hupe in die Realität zurückholte. Er war beinahe von der Straße abgekommen. Sofort riss er das Lenkrad herum, um die Spur zu halten.
Einen Moment lang musste er sich orientieren. Er war allein und fuhr in Richtung Süden nach Los Angeles.
Er sah auf die Uhr am Armaturenbrett. Zwei Stunden waren vergangen. Zwei Stunden, die ihm vorkamen wie zwei Sekunden. Ihm wurde klar, dass er gerade aus einem Zustand geistiger Verwirrung erwacht war, und er überlegte, ob er sie anrufen sollte. Was war innerhalb der letzten beiden Stunden geschehen? Wie kam er überhaupt hierher?
Er versuchte es auf ihrem Handy, doch sie war nicht zu erreichen. Nach dem zweiten Klingeln sprang bereits die Mailbox an. Er wartete auf den Piepton und fragte sich, was er sagen sollte. Die blaue Packung erschien wieder vor seinem geistigen Auge, und trotz seiner Verwirrung stellte er fest, dass er ihr überhaupt nichts zu sagen hatte. Er war immer noch wütend. Verletzt, weil sie ihm das angetan hatte. Also hinterließ er lediglich eine kurze Nachricht, er sei auf dem Weg nach L.A. und werde sie am nächsten Morgen anrufen. Dann legte er auf. Was immer nach der Ohrfeige geschehen war, die Erinnerung würde zurückkommen, und dann konnte er sich damit beschäftigen.
Doch sie kam nicht zurück. Nicht an jenem Abend. Nicht am nächsten Morgen. Nicht einmal nach dem Anruf um drei Uhr nachts, der sein Leben verändern sollte.
Es hatte ihn auch nie jemand danach gefragt. Weder Lisa, noch Ned, sein Ex-Partner und Therapeut. Auch nicht die Polizei. Natürlich hatte man ihn verhört, jedoch nicht als Verdächtigen. Schließlich galt Abby als Opfer eines berüchtigten Serienmörders. Jedes Detail stimmte. Man war vielmehr daran interessiert, ob Tolan irgendjemanden in der Umgebung des Hauses oder in der Nähe von Abbys Studio bemerkt hatte. Ob sie ungewöhnliche oder bedrohliche Anrufe oder gar die Belästigung durch einen Fremden erwähnt hatte.
Die Frage, wann er sie das letzte Mal gesehen hatte, beantwortete er, indem er drei Stunden von der Ankunftszeit im Hotel abzog. Was er in ihrer Handtasche gefunden hatte, behielt er für sich. Ebenso wie den Streit und seine blinde Wut. Es spielte einfach keine Rolle. Es war von Beginn an klar gewesen, wer der Täter war – und Tolan hatte es ebenfalls geglaubt.
Tatsächlich?
Von Beginn an hatte er leichte Zweifel verspürt. Ein gewisses Unbehagen. Möglicherweise litt er deshalb seit einem Jahr an Schlafstörungen. Vielleicht lag hier die eigentliche Ursache seiner Trauer. Seiner Schuldgefühle. Hatte Vincent recht? War sein Ärger begründet? War es möglich, dass er, Michael Tolan, seine eigene Frau umgebracht hatte?
Nein. Ja, er war wütend gewesen, das stimmte, so wütend wie nie zuvor – und diese verzehrende Wut hatte sogar einen kognitiven Kurzschluss ausgelöst. Doch er war kein gewalttätiger Mensch. Niemals hätte er die Hand gegen jemanden erhoben, schon gar nicht gegen Abby. Dafür hatte er sie zu sehr geliebt.
Seine Wut war aus einer Art geistiger Verwirrung entstanden, ausgelöst durch die Angst, sie habe ihn betrogen. Ja, er hatte sie
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