Paranoia - Hoer Auf Ihre Stimme
griff sie nach dem Mikrophon des Funkgeräts und drückte auf die Ruftaste.
»Zentrale, hier Einheit Zwei-Neunzehn. Ich verfolge den zur Fahndung ausgeschriebenen Michael Tolan, unterwegs in einem schwarzen Lexus in östliche Richtung auf einer Nebenstraße des Baycliff Drive.«
Sie wartete auf eine Antwort, doch sie bekam keine.
»Zentrale?«
Nichts. Sie sah hinunter auf das Funkgerät. Es war ausgeschaltet. Dieser Idiot!
Sie wollte es einschalten, doch nichts geschah. Die Leitung war tot. Verdammt noch mal, Frank!
Er hatte wohl vergessen, das Funkgerät zu überprüfen, als er den Wagen aus der Polizeigarage geholt hatte. Entweder das – oder jemand hatte sich auf dem Parkplatz vor der Klinik daran zu schaffen gemacht.
Tolan?
Der Lexus verschwand hinter einer Kurve, fuhr tiefer in die Berge hinein. Carmody passierte ein offenes Sicherheitstor und ein BETRETEN-VERBOTEN-Schild. Sie befand sich also auf einer Zufahrtsstraße zur alten Klinik.
Was wollte Tolan dort?
Sie beschleunigte. Hinter der nächsten Kurve hatte sie den Lexus wieder im Blickfeld. Sie kramte ihr Mobiltelefon heraus und wollte es gerade ans Ohr halten, als auf dem Display der Schriftzug KEINE VERBINDUNG erschien.
Verflucht noch mal!
Sie warf das Handy auf den Beifahrersitz und überlegte, ob sie umkehren und Verstärkung anfordern sollte. Doch es konnte sein, dass sie mit ihrer Vermutung darüber, wo Tolan hin wollte, falsch lag. Vielleicht gab es noch eine Straße, die vom alten Klinikgebäude aus den Berg hinunterführte? Ohne Funkgerät hatte sie keine Möglichkeit, ihm den Weg abschneiden zu lassen.
Andererseits hatte der Mann gerade den Mord an seiner Frau gestanden. Das Letzte, was sie folglich tun sollte, war, allein die Verfolgung aufzunehmen. So etwas wäre Blackburns Stil, und sie war nicht Frank Blackburn.
Der Lexus verschwand hinter der nächsten Kurve. Carmody traf eine Entscheidung, trat aufs Gaspedal und verfolgte ihn noch schneller. Hinter der nächsten Kurve sah sie, dass er durch ein weiteres Tor fuhr. Dort oben, hinter einer Ansammlung von Pfefferbäumen, lag der düstere Kasten, der einmal die Baycliff-Klinik gewesen war. Ein massives, altes Gebäude, zum Teil bis auf die Grundmauern niedergebrannt, doch immer noch imposant mit seinen dunklen Türöffnungen und den zerborstenen Fenstern, die wirkten, als starrten sie einen bösartig an.
Carmody fuhr rechts ran und wartete. Für einen Moment verschwand der Lexus hinter den Pfefferbäumen. Wenig später sah sie, dass der Wagen vor dem Gebäude hielt.
Niemand stieg aus.
Ich habe meine Frau umgebracht. Ich habe Abby getötet. Gott sei mir gnädig.
Wurde sie etwa gerade Zeugin eines Selbstmords?
Carmody legte den Gang ein, trat das Gaspedal durch und fuhr durch das Tor. Sie folgte der Biegung, die um die Pfefferbäume herumführte. Kurz darauf sah sie die geöffnete Fahrertür des Lexus. Der Sitz war leer.
Mist!
Sie hielt direkt hinter ihm, stellte den Motor ab und stieg aus. Dann zog sie ihre Glock aus dem Holster und sah sich vorsichtig um. Er war nirgends zu sehen.
»Dr. Tolan?«
Sie ging an seinem Wagen vorbei zur Rückseite des Gebäudes, vorbei an dem schwarzen Loch, das einmal der Haupteingang gewesen war. War er dort hineingegangen? Wenn ja, würde sie ihm keinesfalls folgen. Sie war vielleicht dumm genug, ihm allein nachzufahren, doch so dumm war sie nicht.
Die Waffe immer noch im Anschlag ging sie weiter. »Dr. Tolan?« Keine Antwort. Nicht die geringste Spur.
Dann klingelte ihr Mobiltelefon. Sie drehte sich um, sie hatte es im Auto liegen lassen. Offenbar befand sie sich nicht mehr in einem Funkloch.
Carmody ging zum Wagen, beugte sich zum Beifahrersitz, griff nach dem Telefon und meldete sich. »Hallo?«
Schweigen. Das Geräusch von Atemzügen.
»Dr. Tolan? Sind Sie das?«
Sie warf einen Blick auf das Gebäude. Wie die Kulisse eines alten Horrorfilms erhob es sich vor ihr. Beinahe erwartete sie ein wütend knurrendes Ungeheuer, das mit gefletschten Zähnen aus dem finsteren Eingangsloch herauskam.
»Dr. Tolan, wo sind Sie?«
Abermals folgte ein Schweigen, dann sagte eine sanfte Stimme: »Direkt hinter Ihnen.«
Als sich Carmody umdrehte, traf ein Stromstoß ihren Brustkorb und warf sie zu Boden.
37
Man hatte Solomon in ein Zimmer gebracht. Die Pflegerin nannte es den Tagesraum. Ein paar festverschraubte Tische und Stühle standen in der Nähe eines großen, vergitterten Fensters mit Meerblick.
Es war genau, wie Solomon vermutet hatte.
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