Paranoia - Hoer Auf Ihre Stimme
Vom Fenster aus konnte er die Häuser entlang der Küste überblichen, kleine Strandhäuschen mit zwei Schlafzimmern ragten aus dem Sand, Wellen umspülten die Terrassen.
Der Tagesraum war voll mit Verrückten. Manche saßen auf ihren Stühlen und brabbelten leise vor sich hin, andere dagegen liefen herum und wussten offenbar nichts mit sich anzufangen. In einer Ecke stand unbeachtet ein Regal mit Gesellschaftsspielen. Mensch ärgere dich nicht, Dame, Monopoly. Es gab ein weiteres Regal mit alten Taschenbüchern und Zeitschriften.
Hoch oben an der Wand war ein Fernseher angebracht, gesichert durch ein Drahtgestell. Es lief eine Talk-Show, in der ein weinendes junges Pärchen dem Moderator sein Herz ausschüttete. Einige Insassen sahen zu und weinten mit.
Eine Frau in einem blauen Kleid drehte unaufhörlich ihre Runden. Sie hatte ein geöffnetes Buch vor sich und tat, als würde sie lesen, während sie leise ›Moon River‹ sang. Das Buch hielt sie falsch herum. Ein alter Glatzkopf saß in einem Rollstuhl und rief immer wieder »Hilf mir, Jimmy! Hilf mir!«, doch niemand nahm von ihm Notiz, weder die Pflegerin noch der Wachmann hinter seinem Schalter.
Auf der Straße hatte Solomon schon alles Mögliche an Verrücktheiten erlebt, doch was er hier sah, setzte allem die Krone auf. Er wünschte inständig, die Krankenschwester würde ihr Versprechen halten und endlich erscheinen. Er hatte das Bedürfnis, mit jemandem zu sprechen, der normal war. Immer wieder sah er sich um, aber er konnte Myra nirgends entdecken. Wahrscheinlich hatte man sie als zu gefährlich eingestuft, als dass man sie hier herumlaufen ließ. Sie war sicher in einer Einzelzelle, für den Fall, dass sie aggressiv wurde.
»Mr. St. Fort?«
Er wandte sich vom Fenster ab und sah, dass Lisa, die Krankenschwester, auf ihn zukam, ein Lächeln auf dem hübschen Gesicht. Er lächelte sie ebenfalls an. »Tag, Ma'am.«
»Tut mir leid, dass ich erst jetzt Zeit für Sie habe. Ich laufe hier den ganzen Tag wie ein kopfloses Huhn herum.«
Solomon zeigte auf den Parkplatz. »Haben Sie gefunden, was sie dort draußen gesucht haben?«
Ihr Blick schweifte ab, offenbar hatte Solomon einen wunden Punkt getroffen.
»Noch nicht«, antwortete sie. »Wollen Sie mitkommen? Wir gehen irgendwohin, wo es weniger laut ist.«
Sie gab dem Wachmann ein Zeichen und ging voraus. Solomon folgte ihr.
Lisa brachte ihn in einen kleinen Raum ohne Fenster. In der Mitte stand ein Untersuchungstisch, der mit weißem Papier abgedeckt war. Sie bedeutete Solomon, sich auf den Tisch zu setzen, und zog sich einen Stuhl heran.
»Sie wollten mir von Ihrer Freundin erzählen«, sagte sie. »Ich muss gestehen, ich bin ziemlich neugierig.«
»Wo ist sie?«
»Keine Sorge, sie ist in guten Händen. Sie hat eine Einzelzelle und steht unter ständiger Beobachtung.«
»Haben Sie irgendeine Ahnung, warum die Polizei sie hergebracht hat?«
Die Krankenschwester runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. »Ich dachte, das könnten Sie mir erklären. Man hat mir nur das Nötigste erzählt und ist offenbar der Meinung, mich umfassend zu informieren sei unnötig.«
»Sind Sie nicht so eine Art Oberschwester?«
Sie nickte. »Heißt es zumindest.«
»Warum müssen Sie dann nicht alles wissen?«
»Fragen Sie das lieber einen der zuständigen Detectives. Die sind allerdings ziemlich verschwiegen. Ich habe das Aufnahmeprotokoll gelesen, aber das ist nicht besonders aufschlussreich.«
»Ich war dabei, als sie sie aufgegriffen haben«, sagte Solomon. »Ich habe gehört, wie sie über sie gesprochen haben.«
»Und?«
»Sie hat wohl versucht, jemanden mit einer Schere zu erstechen. Einen Taxifahrer, unten auf der Avenue.«
Die Augen der Krankenschwester weiteten sich ein wenig. Gerade genug, um Solomon zu signalisieren, dass sie überrascht und interessiert war.
»Doch was ich Ihnen erzählen möchte, steht in keinem Polizeibericht und in keinem Aufnahmeprotokoll«, sagte Solomon. »Ich hoffe, Sie halten mich nicht für verrückt, aber was die Frau da durchmacht, hat seinen Ursprung im Herzen des Vieux Carré.«
»Des was?«
»Des French Quarter. New Orleans. In den dunklen Gassen und hinter verschlossenen Türen. Es gibt kaum Leute, die darüber reden, denn diejenigen, die Bescheid wissen, behalten es für sich und geben es nur innerhalb der Familie weiter. Die meisten, die dort leben, haben noch nie davon gehört.«
Er sah Lisa einen Moment lang an und überlegte, wie ausführlich er ihr
Weitere Kostenlose Bücher