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Paranoia - Hoer Auf Ihre Stimme

Paranoia - Hoer Auf Ihre Stimme

Titel: Paranoia - Hoer Auf Ihre Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gregory Browne
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seit es geläutet hatte. Er konnte nicht genau hören, was in der unteren Etage vor sich ging. Doch die Polizei suchte nach ihm, so viel hatte er verstanden.
    Die Frage war nur, warum? Wussten sie von Carmody?
    Einen Augenblick später kam Lisa nach oben. Sie öffnete die Schranktür. Der geräumige begehbare Kleiderschrank grenzte direkt an ihr Schlafzimmer und bot genug Platz für beide – Tolan und die Leiche.
    Lisa hatte den Bademantel ausgezogen, sie trug nur noch Slip und BH. Als das Licht auf die zusammengerollte Bettdecke zu Tolans Füßen fiel, wurde ihm plötzlich bewusst, wie absurd diese Situation war. Was zum Teufel machten sie hier?
    Anstatt sich vor der Polizei zu verstecken, hätte er sie anrufen sollen. Anstatt bei der Beseitigung einer Leiche behilflich zu sein – der Leiche einer ihm bekannten Polizistin –, hätte er den Mord sofort melden müssen.
    Doch das hatte er nicht getan. Denn Lisa hatte recht. Man würde annehmen, nicht Vincent, sondern er habe Sue Carmody getötet. Und bevor er noch die Gelegenheit bekäme, alles zu erklären, würde man ihm die Arme auf den Rücken zerren und ihm Handschellen anlegen. Dann würde er den Rest seines Lebens in einer Gefängniszelle verbringen.
    Wie aber würde er diese Situation überhaupt erklären? Trotz seines Widerstands musste er immer wieder daran denken, was Vincent gesagt hatte: Heute Nachmittag hatten wir eine Menge Spaß mit ihr.
    Es war dieses wir, das ihm nicht mehr aus dem Kopf ging. Wir, in Zusammenhang mit seinem blutverschmierten Hemd und den Bruchstücken der Erinnerung, die in ihm aufflackerten. Noch ein Blackout. Eine Gedächtnislücke. Größer denn je.
    Wieder sah er vor seinem geistigen Auge das Bild eines Messers, das durch Fleisch schnitt. Er fragte sich, wer dieses Messer geführt hatte.
    Lisa schlüpfte in ein Paar Jeans. »Wir müssen sie nach unten bringen.«
    »Warum werde ich von der Polizei gesucht?«
    »Das haben sie nicht näher ausgeführt.« Sie zog den Reißverschluss der Jeans hoch und nahm ein T-Shirt von einem Haken in der Schranktür. »Vielleicht hätte ich sie zum Essen einladen sollen. Dann hätten sie mir sicher alles erzählt.«
    Das saß, und Tolan wusste, er hatte es verdient.
    »Hör zu, es tut mir leid. Ich dachte, ich könnte dich vor unangenehmen Dingen bewahren.«
    »Das ist meine Aufgabe, schon vergessen?«
    Sie zog das T-Shirt an. BEST IN SHOW stand nun groß auf ihrer Brust.
    »Was ist in der Klinik passiert?«, fragte Tolan. »Nachdem ich weggefahren bin?«
    Sie zeigte auf Carmodys Leiche. »Offensichtlich das. Jetzt hilf mir, sie hinunterzubringen.«
    Tolan sagte nichts. Widerstrebend tat er, was von ihm verlangt wurde. Er griff nach einem Ende der Decke, Lisa nahm das andere. Doch es fiel ihm schwer, sich auf seine Aufgabe zu konzentrieren. Es gab noch etwas an Vincents wir, das ihm Sorgen bereitete. Eine weitere Möglichkeit, die ganz hinten in seinem Hirn auftauchte, seit der Nacht, als Abby ermordet wurde. Seit seinem ersten Blackout.
    Er dachte an seine Mutter und an jene turbulenten Tage oben in der Hütte bei Arrowhead Springs. Sie war eine gemeine Frau gewesen, die zu grausamen Stimmungsschwankungen neigte und Tolan und seinen Vater spüren ließ, wie unglücklich sie war. Er erinnerte sich, dass er sich im Schrank versteckt hielt, wenn seine Eltern Streit hatten. Seine Mutter missbrauchte den Vater als verbalen Sandsack, warf ihm vor, was für ein Loser er sei, und brüstete sich mit zahlreichen Liebhabern, die sie alle so viel besser befriedigt hätten als er.
    Erst später erkannte Tolan, dass sie die Qualen einer dissoziativen Identitätsstörung durchmachte, sie war der eindeutige Fall einer multiplen Persönlichkeit. Viele Jahre später hatte sie ihm erzählt, was für ein Gefühl das war – was für eine Zeitverschwendung, all die Gespräche mit den ›anderen‹.
    »Wie Telefonanrufe von Toten«, hatte sie gesagt.
    »Telefonanrufe von Toten?«
    »So ist es. Sie sprechen mit mir über eine unsichtbare Telefonleitung. Eine Leitung, die sich durch meinen Kopf zieht, ihn in einzelne Abschnitte unterteilt, verstehst du? Und in jedem dieser Abschnitte wartet ein netter kleiner Freund darauf …«
    »Michael? Bist du noch bei der Sache?«
    Sie befanden sich auf halber Treppe. Unbeholfen schleppten sie die in eine Bettdecke gehüllte Leiche nach unten, bemüht, keine Blutspritzer auf dem Teppich oder an der Wand zu hinterlassen. Tolan hatte Lisas Frage gehört, doch er antwortete

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