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Paranoia

Paranoia

Titel: Paranoia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Felder
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das ist hier so Usus.
    Aus welchen Gründen wüsste ich nicht zu sagen, aber der Blick auf das Kuvert mit meinem Bericht lässt mich daran denken, dass keine Falle tödlicher ist als die, die man sich selbst stellt. Und dann ist sie plötzlich wieder da, diese Kinderstimme:
    Komm doch mit zum Fußball, sei kein Spielverderber,
    und ich presse meine Augen zusammen. Sie echot durch den Raum,
    Komm doch mit zum Fußball, sei kein Spielverderber,
    aber jedes Echo wird leiser, so auch dieses. Ich presse meine Augen fester zusammen, bis die Stimme versiegt. Und weil jeder vor irgendwas auf der Flucht ist, fliehe ich, gehe ins Internet,und nach fünf Mausklicks spuckt mein Drucker das aktuelle Kinoprogramm für Fynn und mich aus. Ich greife danach, dann nach meinem Mantel und dem Kuvert mit dem Bericht und verlasse das Büro.
    »Es könnte sein, dass wir uns vor meinem Abflug nicht mehr sprechen. Wenn was ist, immer auf Handy. Sie wissen ja. Schöne Zeit. Und, die Schmiererei in der Tiefgarage, Sie denken dran?«, sage ich zu Frau Schmitz. Sie nickt mir zu, wünscht mir einen schönen Urlaub. Ich werfe einen Blick auf meine Armbanduhr und betrete unser Korridor-Labyrinth: einmal links, dann ewig geradeaus, scharf rechts. Ich komme an einem gläsernen Großraumbüro vorbei, da wo die Tippsen und Auszubildenden sitzen, und beobachte im Gehen eine Geburtstagsparty, Girlanden, Sektflaschen, grölende Mitarbeiter (durch die Bank D), die ich durch die Scheiben nur gedämpft hören kann, und eine blutjunge Klischee-Blondine (C), die Ben sicher schon gepimpert haben dürfte. Also dieses Dekorations-Wasserstoff-Püppchen bläst gerade die Kerzen auf der zweistöckigen Geburtstagstorte aus, pustet in drei kraftvollen Stößen über die brennenden Wachsdochte, und aus meinem Winkel und wahrscheinlich nur aus meinem Winkel kann man sehen, dass dabei drei große Speicheltropfen mit auf die sahnige Oberfläche der Torte katapultiert werden. Rotze-Sprühregen auf Kuchen pusten. Komischer Brauch. Laut Sahneschriftzug wird sie 25. Was nicht ganz stimmt, wenn man bedenkt, dass doch eigentlich der erste Geburtstag schon der zweite ist, und somit der fünfundzwanzigste eigentlich der sechsundzwanzigste wäre. Mathematisch ist die gängige Zählweise völlig schräg. Ich verstehe das nicht.
    Noch einmal links, ich betrete Lutz’ Vorzimmer und gebe das Kuvert seiner Sekretärin direkt in die Hand. Dann laufe ich fast die ganze Strecke wieder zurück und fahre mit dem Lift nach unten.
    Ich Versager. Auf Höhe des neunten Stockwerks ziehe ich die Nase hoch. Laut und volle Kraft voraus. Was für ein Sound! Das nennt man ergiebig. Ich bin aber
richtig
erkältet, meine Herren. Überübermorgen mit Schnupfen in den Flieger, na, das wird lustig. Ohren-Druckausgleich an Bord ade.
    Vier Stockwerke weiter abwärts ertönt eine Sirene, und aus dem Lautsprecher des Aufzugs dringt eine Durchsage, die mir nicht neu ist. Sie meint, wir mögen bitte umgehend das Gebäude räumen, über die Treppenhäuser, aktuelle Liftfahrten enden im Zielstockwerk und werden nicht fortgesetzt, keine Panik, reine Vorsichtsmaßnahme – wegen Bombendrohung. Wie lästig, das passiert mittlerweile durchschnittlich zweimal im Monat. Bombenalarm hatte hier noch nie was mit Bomben zu tun. Leere Versprechungen.
    Ich steige im Tiefgeschoss meines Parksegments aus.
    Wer macht denn so was, eine Bombendrohung?
    Diesmal kommt sie jedenfalls nicht von mir.

12
    »Hey, Fuckhead, ist wieder Bombendrohung!«
    Ben kommt mir in den Betonkatakomben der Parkebene F entgegen.
    Noch antwortet er nichts. Ich bringe ein kurzes, freudloses Lachen zustande. Seine Ohren sind an den Rändern erregt gerötet. Er winkt mir zur Begrüßung irgendwie resigniert zu.
    »O Mann, ich war grade daheim und habe meine Festplatte noch mal gecheckt, und ich habe von der Datei keine Safety Copy gemacht. Ich könnte heulen, echt. Ich bin ein Rindvieh, aber ich verstehe das nicht! Wie konnte ich diese beschissene Datei bloß verlieren?«
    Ich sehe ihn mit weit geöffneten Augen an und bewege michüberhaupt nicht. Und das Komische ist: Ich fühle einen Stich ins Herz, aber ich weiß nicht, was dieses Gefühl bedeutet.
    »Hey, das klingt ja wirklich komisch. Und du weißt bestimmt, dass du gestern Abend nicht …«
    »Ja, klar.« Er hebt die Arme und lässt sie wieder sinken.
    »Das ganze Wochenende umsonst. Die ganze Arbeit.«
    »Und wenn du alle Dateien in deinem Laptop noch mal durchgehst? Vielleicht ist das Ding unter

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