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Paranoia

Paranoia

Titel: Paranoia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Felder
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doch komme, sage ich Dinge zu ihr, die ich sonst nie sagen würde, ich sage es, weil, sobald das hier vorüber ist, keines meiner Worte mehr wahr sein wird.
    Man verschone mich, ich möge mich verschonen, mit irgendeiner Bestandsaufnahme, mit irgendeiner schnöden, schonungslosen Analyse meines Lebens und dessen Konsequenzen. Warum das hier? Alte Weiber ficken? Ich bin intelligent genug, erfahren genug, gebildet genug, reflektiert genug, um mir all das zu erklären und gleichzeitig das Gegenteil zu beweisen. Ich bin clever genug, zu bestätigen und zu verleugnen, Fakten zu verifizieren und anschließend wegzudiskutieren.
    Mir krampft sich das Arschloch zusammen. Ich
bin
gekommen.
    Erleichterung ist das komplett falsche Wort.
    Ich bin chancenlos gegen mich selbst. Jede Diskussion mit meinem Ebenbild kann ich nur verlieren.
    Ich nehme Haltung an.
    Ilse B. klemmt eine Decke unter ihr Kinn, faltet sie dreimal, räumt auf.

18
    Der nächste Tag ist ein Mittwoch.
    Der Eisregen fühlt sich an wie mit Salzsäure versetzt. Tropfen spitz wie Nadeln peitschen auf meine Gesichtshaut. Siesind so kalt, dass ich die einzelnen Einschläge auf der Wange als eine einzige Schneeglasur wahrnehme. Mein Haar hängt mir nass ins Gesicht, und das Wasser rinnt mein Kinn herunter. Ich laufe auf das Restaurant zu, und meine Schuhe klatschen und schmatzen bei jedem Schritt. Der rechte Schuh war heute Morgen schon nass, noch nass von gestern. Das habe ich jedoch erst bemerkt, als es schon zu spät zum Wechseln war. Da hatte ich ihn nämlich schon an.
    Ich schlittere über eine spiegelglatte, ehemalige Pfütze und werde von nicht-vereistem Boden gebremst.
    Eine Handkante gegen die Scheibe des Chinesen gedrückt, lege ich mein Gesicht auf den Daumen, meine Nasenspitze berührt das Glas. Mit zusammengekniffenen Augen schaue ich ins Innere und sehe Esther an einem Tisch sitzen. Eine große Frau, brünett, etwas ausdrucksloses Äußeres. Esther eben. Ich sehe auf die Zeiger meiner Armbanduhr. 12 Uhr 72. Also zwölf nach eins. Sie ist pünktlich. Ich nicht.
    Der runde Rücken eines rotlackierten Plastikdrachens auf der Fensterbank unter mir zeichnet sich hinter der Scheibe ab, als ich meinen Blick auf Nahsicht einstelle. Ich wende mich ab, gehe zum Eingang, dabei dauernd nach einer sicheren Trittmöglichkeit ausschauend.
    Trotz des Regens spüre ich einen Pickel auf meiner rechten Schläfe wachsen. Heikle Stelle, dünne Haut, heikle Stelle, nicht hinfassen. Das wird ein rotes Eiterhauben-Monster. Kommt über Nacht, geht aber nicht wieder über Nacht. Wenn er reif ist, werde ich ihn nicht ausdrücken. Ich werde keinen Druck aus dem ockerfarbenen Entzündungsherd entweichen lassen. Die zähe Masse nicht mit 900 bar gegen den Badezimmerspiegel knallen lassen. Wenn er so weit ist – ich werde ihn einfach nicht ausdrücken.
    Ich weiche ein paar C-Menschen aus, die über den Bürgersteig durch den Schnee stapfen, und greife nach der Klinke.Überlege mir: In meinem Kopf sieht’s heute anders aus. Und stapfe halbherzig auf dem Fußabstreifer herum. Als ich die Tür des Lokals öffne, den Herren im Wandspiegel grüße und mit meinen nassen Schuhen einen Heidenlärm verursache, hinterlasse ich eine Wasserspur auf dem dunklen Holzboden.
    »Du bist ja patschnass«, sagt Esther entsetzt und steht auf. »Du wirst dich erkälten.«
    »Keine Gefahr«, sage ich. »Hab ich schon.«
    Nicht zur Bekräftigung, nicht aus Boshaftigkeit, rein aus einem Reiz heraus, huste ich ihr in drei Stößen ins Gesicht.
    Sie verbirgt ihren erschrockenen Ekel wie eine echte Dame.
    Ein dezentes, dunkles Kostüm allererster Güte ziert ihren feingliedrigen Körper.
    So wie ich bin, in durchweichtem Mantel, klammem Hemd, mit immer noch tropfenden Haaren, unrasiert und langsam zu dampfen beginnend, setze ich mich ihr gegenüber. Zwei unterschiedlich große Porzellan-Buddhas grinsen verdächtig aufdringlich von der Wandleiste, an die der Tisch grenzt.
    Blanker Wahnsinn.
    »Dann wollen wir mal sehen, was die hier so haben …«, sage ich und nehme die Karte. Esther mustert mich, als sei ich geisteskrank. Ich blättere vor und zurück und fasse mir dabei nicht ins Haar, als drei erbsengroße Wasserkugeln von meiner Stirn auf der Seite mit dem Mittagsmenü landen. Die Preise müssen Druckfehler sein. Alles einstellige Beträge. Das kann ja nichts taugen.
    Ich schaue unter Tagesgerichte. Mickrig. Ich werde à la carte bestellen. Entscheidungsfreudig, jedoch mehrere Optionen wahrend, merke ich

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