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Paranoia

Paranoia

Titel: Paranoia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Felder
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über den Boden.
    Ich sitze an dem Tisch auf dem Podium, links außen, eine Randperson, starre in unser Publikum, sehe aber niemanden direkt an, sondern registriere nur ihre oberflächliche Erscheinung. Ein Stelldichein der Weltjournaille. Alle sind sie da: CNN, FOX, teleSUR, France 24, BBC, ABC, Sky, EuroNews, TVN24, Russia today, TV Biznes, CNBC.
    RTL und ZDF fallen mir natürlich als Erstes auf. Respektive die Schriftzüge auf den Mikrofon-Schaumstoffüberzügen. Deren Besitzer mustere ich etwas genauer. Könnte nicht sagen: typisch deutsch. Die eine ist sehr jung, sieht aber trotzdem attraktiv aus. Der andere hat ein klassisches Konfrontationsgesicht, seine gescheitelte Frisur die Geschmeidigkeit von Drahtwolle.
    Jetzt, wo ich die Auslandskorrespondenten-Köpfe in ihrer Gesamtheit einer genaueren Betrachtung unterziehe, muss ich sagen: einer schöner als der andere. Mit Ausnahme eines amerikanischen Vertreters. Die Hässlichkeit seiner Mundpartie grenzt an Körperbehinderung. Wahrscheinlich ist er deshalb der Beste von allen.
    Ich blinzele ins grelle Scheinwerferlicht. Pochen in meinem Kopf. Hier oben zu sitzen ist übel. Mir ist nicht wohl dabei. Meine Perspektive erscheint so unwirklich, als befände ichmich in einem Paralleluniversum. Mikroskopisch kleine Staubkörnchen auf meinem Ärmel erfordern plötzlich immense Zuwendung. Ich zupfe daran herum. Das sieht bestimmt nicht gut für die Kameras aus, aber das kann ich jetzt nicht berücksichtigen. Es beruhigt kurzzeitig.
    Seit zehn Minuten trägt der Leiter der Untersuchungskommission (noch nie gesehen, sitzt in der Mitte des Tisches) seinen vorläufigen Bericht vor.
    Die hungrige Meute versucht vergebens, mit lauten Zwischenrufen Fragen zu stellen. Es gleicht mehr einem unkontrollierten Toben, als investigativem Nachhaken. Die eng miteinander verwandten Worte Terror, Terroristen und Terroranschlag fallen vielfach.
    Wir sitzen hier wie am Pranger. Mir wurden vorhin von Herrn P zuvorkommenderweise zehn Minuten zugestanden, mich in der Boutique der Hotellobby neu einzukleiden. Garrick-Krawatte, knopfarmer Blazer. Der Anzug ist todschick.
    Wenigstens das.
    Zum Abschluss seines Vortrags zum Ermittlungsstand schiebt der Inspektor mit den raspelkurzen Haaren abwesend sein Wasserglas so nah an den Rand des Tisches (der ist da ja wie ich), dass ein Reporter ihm etwas für mich unverständliches zur Warnung zuruft. Er antwortet geistesgegenwärtig etwas, das ich ebenfalls nicht verstehe, diesmal inhaltlich, und schiebt das Glas wieder in die Mitte des Tisches. Er erntet ein paar Lacher, trotzdem lässt die Spannung im Raum nicht nach.
    Während jetzt eine vor dem Podium stehende Brünette, die als Pressekoordinatorin fungiert, auf einzelne Journalisten zeigt, die sich artig erheben, den üblichen Kram erfragen und auf alles zu hören bekommen, dass man dieses und jenes noch nicht wisse, werfe ich einen kurzen Blick durch die großen Fensterwände. Auf die kreuz und quer vor dem Hotel stehendenKleinbusse mit den Symbolen der Nachrichtensender auf der Seite und Satellitenschüsseln auf dem Dach. Dann fallen mir die zig Raubvogel-Silhouettenaufkleber an den Scheiben des Konferenzraumes auf. Bussarde oder Adler.
    Die Pressereferentin, aus deren Brusttasche eine rote Brille ragt, reicht einem Reporter ein Foto, das ich von hier aus nicht richtig erkennen kann. Sie zeigt geschäftig auf einen weiteren Kopf aus dem Meer der Anwesenden und ruft: »Last question please.« Vornehmtuerin.
    Eine französische Torfnase lässt irgendeine saublöde mehrteilige Frage vom Stapel: über die Art der Notlandung, den Verlauf der Rettungsmaßnahmen und den Verbleib der beschädigten Tupolew. Ich höre ihm und seinem französisch gefärbten Englisch halbherzig zu und frage mich, weshalb Franzosen andere Sprachen nicht einigermaßen akzentfrei über die Lippen bekommen und immer gleich klingen wie Klischeetrottel, deren muttersprachlich gefärbtes Englisch man kinderleicht imitieren kann. Isch binn ahien Frontsoosäh! Schweden zum Beispiel können andere Sprachen viel akzentfreier adaptieren. Denen hört man ihr Herkunftsland nicht so stark an. Woran das wohl liegen mag? Nicht wichtig. Ich schweife ab.
    Die Belanglosigkeit der Frage des Franzosen nervt alle im Raum. Aber der Flugzeugingenieur und technische Sachverständige, in diesem Fall ein Zweihundertkilomann, der am von mir aus gesehenen anderen Ende des Tisches sitzt und so aussieht, als esse er als Beilage zu seinem Gulasch

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