Parasiten
zwischen
einer möglichen lukrativen Zukunft im Syndikat seines Bosses und einem letzten
Rest Ehre. Er verzichtete auf die Zukunft und wählte den Blaubeerkuchen.
Vadim zog seine Pistole aus dem Schulterhalfter. Doch er war nicht
schnell genug. Einer der Gorillas versetzte ihm einen Faustschlag auf den
Solarplexus. Seine Faust war mit einem Schlagring bewehrt. Vadim knickte ein
wie ein nasser Sack, seine ganze Luft entwich ihm in einem Stöhnen. Die Pistole
fiel krachend auf den Boden, wo sie von seinem Gegner mit dem Fuß Richtung Boss
gekickt wurde. Der machte sich nicht mal die Mühe, sie aufzuheben. Er wusste,
dass Vadim keine Chance gegen den im Nahkampf ausgebildeten Leibwächter hatte.
Der eine Bodyguard schleifte die schreiende Sofia an den Haaren
hinter sich her ins obere Stockwerk, der andere trat im Salon Vadim unters
Kinn. Ins Gesicht. In die Rippen. In den Unterleib. Vadim spuckte Blut. Es war
nicht das erste Mal in seinem Leben, dass er zusammengeschlagen wurde, aber
noch nie hatte er so hart einstecken müssen. Er hörte seine Knochen splittern,
spuckte zwei Vorderzähne aus, bekam keine Luft mehr, hustete, krampfte. Alles,
was er sich bislang in Moldawien aufgebaut und wofür er seine Familie aufgegeben
hatte, wurde von genagelten Stiefeln in Schutt und Asche getreten. Auf Befehl
und unter den Augen des Mannes, dem er die letzten fünf Jahre treu gedient
hatte. Wofür? Er würde sterben, hier und heute.
»Das reicht«, sagte der Boss. »Er hat es hoffentlich begriffen.
Schafft ihn mir aus den Augen.«
Während Sofia im oberen Stockwerk der Villa in einem luxuriösen
Badezimmer sorgsam auf ihre erste Vergewaltigung vorbereitet wurde, kippte
einer der Leibwächter Vadim mehr tot als lebendig auf eine Müllkippe am
Stadtrand von Chişinău zwischen leere
Suppendosen, Essensreste, Kartoffelschalen und sonstigen Abfall.
Der Abend dämmerte langsam. Kühle Luft drang in die Wohnung
in der Strada Tisa. Radu schloss das Fenster. Auf dem Tisch stand der Rest des
Blaubeerkuchens, an dem sich zwei Stubenfliegen bedienten. Der Kaffee war
längst kalt geworden, doch Ileana hatte keine Kraft mehr, die Gastgeberin zu
spielen und für frischen Nachschub zu sorgen. Mit jeder Stunde, die verstrich,
weinte sie mehr. Dunkle Ahnungen füllten die kleine Küche aus. Radu hatte schon
mehrfach bei Sofia wie auch bei Vadim auf dem Handy angerufen. Erst nach dem
dritten Versuch erinnerte er sich, dass Sofia ihr Handy in Bremen hatte liegen
lassen. Aber auch Vadim war nicht zu erreichen. Seit einer halben Stunde war Radu
in dumpfes Schweigen versunken.
Maxym sah auf die Uhr und wandte sich an Christian: »Die sind seit
über vier Stunden weg. Was sagt Ihnen Ihr Gespür als Polizist?«
»Nichts Gutes«, antwortete Christian. Er fand es verantwortungslos,
dass die Suworows, um ihre jüngere Tochter zu retten, die ältere mit einem
kriminellen Cousin zu einem Unbekannten gehen ließen, von dem sie weder Namen
noch Adresse wussten. Andererseits schien Sofia seinem Eindruck nach keine Frau
zu sein, die sich von ihren Eltern oder sonst jemandem etwas sagen ließ. Und
möglicherweise war dieser Vadim tatsächlich die einzige Chance der Suworows,
etwas über Alina zu erfahren. Dennoch wollte er nicht länger warten. Er bat
Maxym, ihn als Dolmetscher zur Kripo von Chişinău
zu begleiten.
»Was wollen Sie da?«, fragte Maxym. »Sie haben in Moldawien
keinerlei Befugnisse.«
»Das weiß ich. Aber ich hoffe auf die internationale Kollegialität
unter Polizisten. Vielleicht ist Vadim aktenkundig, und man weiß, für wen er
arbeitet. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Vadim seine kriminellen Kontakte
nutzen will, um Alina zu finden.«
»Das ist einer der Gründe, weshalb Sofia ihn um Hilfe gebeten hat.
Der andere Grund sind machtlose oder korrupte Polizisten, wie ich Ihnen schon
erklärte.«
»Versuchen müssen wir es trotzdem. Die Polizei kennt in den meisten
Fällen ihre Pappenheimer und weiß, wo und mit wem sie sich herumtreiben.
Vielleicht finden wir die beiden. Bevor ein zweites Unglück passiert …«
Christian verschwieg, dass es seiner Meinung nach schon zu spät war. Er
befürchtete das Schlimmste, hoffte aber immer noch das Beste.
Maxym übersetzte den Suworows, was Christian vorhatte. Radu hielt es
für keine gute Idee. Er gab zu bedenken, dass es kontraproduktiv sein könnte,
wenn man Vadim und seinen Kontakten Ärger mit der Polizei verursachte.
Vielleicht würden sie dadurch die Chance, Alina zurückzubekommen,
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