Parasiten
und wenn nicht,
dann leckt mich am Arsch, vermutlich habe ich es verdient.
Wenn Christian flog, war er wütend. Auf die Ingenieure, die diese
unnatürliche Art der Fortbewegung erfunden hatten, auf die Piloten, die nur für
ihn jede Turbulenz durchflogen, und auf sich selbst, weil er nicht zu Hause bei
Anna auf dem Sofa saß und sich Flugzeugabstürze aus sicherer Entfernung im
Fernsehen ansah.
Schon in seiner schlaflosen Nacht von Samstag auf Sonntag hatte er
schwitzend beschlossen, um sechs Uhr in der Frühe Savchenko nicht nur am
Flughafen abzupassen, sondern mit ihm nach Moldawien zu fliegen. In Hamburg kam
er keinen Deut weiter. Er konnte Antoschka Mnatsakanov nicht mehr nach seinem
Auftraggeber fragen. Bevor der jedoch nicht hinter Schloss und Riegel saß, war
der Fall Henning Petersen für ihn nicht abgeschlossen. Er würde in Hamburg
nicht herausfinden, wo Danylo Savchenko abgeblieben war, ob er noch lebte und
was er mit dem Fall zu tun hatte. Er würde nicht herausfinden, inwieweit Sofia
Suworow in das Ganze verwickelt war. All dem konnte er, wenn überhaupt, nur auf
die Spur kommen, wenn er mit Sofia sprach. Also musste er fliegen. Es gab
nichts, was er so sehr hasste wie fliegen. Außer warten. Im Moment flog er und
wartete auf den Absturz. Eine unselige Kombination.
Maxym schlief und schnarchte leise dabei. Weder der unruhige
Landeanflug noch das harte Aufsetzen weckten ihn. Christian musste ihn
wachrütteln. Da sie beide nur mit Bordgepäck reisten, konnten sie den Flughafen
zügig verlassen.
Christian war erstaunt über die milde Frühlingsluft, die ihm draußen
entgegenwehte. Er wusste kaum etwas über Moldawien, nur, dass es arm war und
dass er keine der hier gesprochenen Sprachen beherrschte. Auch deswegen war er
froh, den insgesamt reichlich unfreundlichen Savchenko an seiner Seite zu
haben. Außerdem hoffte er, dass Savchenko die Suworow zum Reden brachte. Er
wusste zwar, wie wenig die Geigerin von ihrem früheren Kompositionslehrer
hielt, aber vielleicht war ja noch ein Rest Respekt übrig vor dem »Despoten«,
wie sie ihn genannt hatte.
Sie nahmen den Minibus in die Innenstadt. Savchenko schaute wie
Christian aus dem Busfenster hinaus. Nachdem sie die äußeren Stadtbezirke
hinter sich gelassen hatten, füllten sich die Straßen mehr und mehr mit
Menschen.
»Sie tragen T-Shirts, weil es schon warm ist«, sagte Savchenko.
Christian konnte mit dieser wenig interessanten Bemerkung nichts
anfangen, also schwieg er.
»Im Sommer fällt Armut weniger auf«, fuhr Savchenko fort. »Man sieht
nicht, wie die Menschen im Winter in ihrer viel zu dünnen Kleidung frieren.«
Christian schwieg weiter, obwohl er die Botschaft diesmal verstand.
Er war etwas beschämt, weil er darüber noch nie nachgedacht hatte.
Savchenko hatte im Hotel ›Maxim Pasha‹ für sie reserviert. Christian
vermutete insgeheim, dass es der Eitelkeit des Russen schmeichelte, dass ein
Hotel seinen Vornamen mit einem Ehrentitel kombinierte. Er war auf alles
gefasst, doch seine Vorurteile bestätigten sich nicht. Das Hotel war
freundlich, sauber, die Zimmer geschmackvoll eingerichtet.
Die beiden nahmen in der Lobby, die mit großen und gemütlichen Sofas
in Rot und Grün ausgestattet war, einen schnellen Kaffee zu sich und stimmten
ihre Vorgehensweise ab. Während des Gesprächs durchquerte plötzlich ein Mann
den Raum, der eine Pistole offen in der Hand trug. Sofort spannte sich
Christian an und verfluchte die Tatsache, dass er keine Waffe bei sich trug.
Doch außer ihm schienen weder die Gäste noch die Bediensteten noch Maxym
besondere Notiz von dem Kerl zu nehmen. Bevor Christian über den Spruch »andere
Länder, andere Sitten« nachdenken konnte, war der Mann auch schon wieder
verschwunden. Moldawischer Alltag. Er würde sich anpassen müssen.
Als sie in der Strada Tisa bei Familie Suworow klingelten,
öffnete ihnen ein kleiner Mann um die sechzig, der auf Christian grob, aber durchaus
sympathisch wirkte. Radu Suworow begrüßte Maxym Savchenko überrascht und etwas
distanziert, wie es Christian schien. Savchenko hatte auf Christians Bitte hin
ihren Besuch bei den Suworows nicht telefonisch angekündigt, um Sofia keine Gelegenheit
zu geben, vor ihrem Eintreffen wieder zu verschwinden. Radu Suworow bat die
beiden unerwarteten Gäste herein. Savchenko begrüßte auch Ileana, dann stellte
er Christian vor.
Christian verstand kein Wort, die drei sprachen russisch. Aber er
sah, dass Ileana, eine kleine, zierliche, sehr
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