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Parasiten

Parasiten

Titel: Parasiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
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sich an einer Metallverstrebung und erwachte.
Von draußen war das Stimmengewirr ihrer Aufpasser zu hören, von etwas weiter
drang Turbo-Folk herüber, eine Mischung aus orientalischem Sound und Techno.
Langsam regten sich auch die anderen Frauen.
    Sofia versuchte, zur hinteren Plane zu robben und hinauszusehen. Sie
kam nicht weit, ihre Fesseln verhinderten es. Nach einer gefühlten Ewigkeit wurde
die Plane aufgerissen. Endlich frische Luft. Taschenlampen leuchteten in den
Wagen, zwei grelle Lichtkegel blendeten die Frauen. Ihre Aufpasser lösten die
Fesseln und forderten sie auf Rumänisch und Russisch auf, den Wagen zu
verlassen. Mit steifen Gliedern kletterten die Frauen von der Ladefläche.
Draußen, in der sternenklaren Nacht, standen neben ihren Aufpassern noch einige
andere, mit Pistolen und Maschinengewehren bewaffnete Männer, die eine Art
Korridor zu einem heruntergekommenen Wohnhaus neben dem mit pinkfarbener Neonreklame
beleuchteten Club ›Victoria‹ bildeten.
    »Scheiße«, flüsterte Katya, die dicht neben Sofia ging. »Wir sind in
Brcko.«
    »Kann es sein, dass Alina hier ist?«, fragte Sofia.
    »Glaub mir, das willst du nicht.«
    Unsanft wurden die Frauen von den bewaffneten Männern zu dem Haus
geschubst und über eine knarzende Stiege in den dritten und obersten Stock
gebracht. Die wenigen Fenster waren vergittert. Ansonsten sah es aus wie in
Gomel: ein großer Raum, zweistöckige Holzpritschen mit dünnen Matratzen und
noch dünneren Decken. Auf einigen der Pritschen dämmerten Frauen vor sich hin,
die schon früher angekommen waren. In einem Nebenraum gab es vier schmutzige
Waschbecken, daneben zwei Duschen und den Duschen direkt gegenüber vier
Toilettenkabinen, an denen die Türen entfernt worden waren.
    Katya sicherte sich und Sofia schnell eine Doppelpritsche, die so
weit wie möglich vom Nebenraum mit den offenen Toiletten entfernt war. Bei
einigen Frauen gab es Streit um die Betten, zwei prügelten sich darum, oben zu
liegen. Sofia fragte sich, woher sie die Kraft dazu nahmen. Durch die schmutzigen
Scheiben sickerte das erste Morgenlicht herein. Es musste zwischen vier und
fünf Uhr sein. Genauer wusste Sofia es nicht, denn sie hatte wie alle anderen
neben ihren Ausweispapieren auch alle persönlichen Besitztümer wie Handy, Uhr
und Schmuck abgeben müssen. Es war ein Gefängnis. Nur, dass keiner ihre Sachen
in einen mit ihrem Namen beschrifteten Karton zur Aufbewahrung gegeben hatte.
Ein Tag der Entlassung war hier nicht vorgesehen.
    Die meisten Frauen legten sich kraftlos auf ihre Pritschen und
versuchten zu schlafen. Nur ein paar versammelten sich um Katya. Es hatte sich
herumgesprochen, dass sie schon einmal hier gewesen war. Auf Russisch und
Rumänisch wurde Katya mit Fragen gelöchert.
    »Was erwartet uns hier?«
    »Die Hölle.« Katya schüttelte ihr Bettzeug aus, faltete ihre Jacke
zusammen und polsterte damit ihr Kopfkissen auf. Sie schien ihren
Wissensvorsprung nicht zu genießen.
    »Lass dir doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen!«, beschwerte
sich eine sehr junge Frau namens Cristi, die wie Sofia aus Moldawien stammte.
    Katya setzte sich im Schneidersitz auf ihre Matratze und sah von
oben auf die forsche Cristi herab: »Du willst es also ganz genau wissen?«
    »Ich auch«, sagte Sofia.
    Die anderen stimmten zu.
    Katya nickte: »Also gut. Es gibt etwas, das ist hier besser als in
den Lagern, in denen ihr vorher wart. Wir werden nicht mehr ins Gesicht
geschlagen.«
    Ein Mädchen aus der Ukraine stöhnte erleichtert auf.
    Katya fixierte sie: »Sie treten dir nur noch in die Rippen und in
den Unterleib, wo man es nicht sofort sieht. Damit dein Wert bei der
Versteigerung nicht durch eine verbeulte Visage geschmälert wird.«
    »Welche Versteigerung?«, fragte Cristi entsetzt.
    »Wir sind auf dem ›Arizona-Markt‹. Für die einen die größte
Open-Air-Shopping-Mall in Südosteuropa. Hier sind über zweitausend Läden. Man
kann kostengünstig alles kaufen, was das Herz begehrt: Musikkassetten aus
Bulgarien, Bettwäsche aus der Türkei, Zigaretten aus Mazedonien, Lammspieß vom
Grill … Für die anderen ist der Arizona-Markt das Tor zur Hölle.«
    »Ich nehme an, wir sind die anderen«, sagte Sofia leise.
    Katya nickte: »Hier und in der Umgebung gibt es unzählige Bordelle.
Die Unattraktiven von uns werden an die einheimischen Betreiber verkauft. Da
heißt es dann Dienst am Mann von acht Uhr abends bis sechs Uhr morgens. Bis
drei Uhr am Nachmittag pennen, dann Putzkolonne, also

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