Parasiten
die Zimmer und die
Toiletten reinigen.«
Das Mädchen aus der Ukraine knabberte die ganze Zeit an ihren
Fingernägeln, soweit da überhaupt noch welche waren. »Mir hat man einen
Kellnerinnen-Job in Italien versprochen. Sie haben mich von meinem Dorf nach
Odessa gebracht. Dort wurde ich eingesperrt, sie haben mir meinen Pass weggenommen
und mir was von Visa-Problemen erzählt. Wie konnte ich nur so bescheuert
sein?!«
»Du bist nicht die Einzige, der so was passiert.« Cristi sah die
Ukrainerin kühl an: »Und ich bin alles andere als bescheuert. Alles ist besser,
als in Moldawien zu verrecken! Okay, ich hab eine in die Fresse gekriegt, aber
es ist noch keiner über mich drübergerutscht. Und so bleibt das auch! Bei der
ersten Gelegenheit mache ich hier die Biege und schlage mich nach Österreich
durch. Ohne Scheiß-Schlepper und erst recht ohne Scheiß-Zuhälter!«
Sofia staunte über Cristis Willenskraft, doch Katya schüttelte nur
den Kopf: »Bist du das Scheiß-Supergirl? Oder Scheiß-Lara-Croft? Letztes Jahr
hatten wir auch so ’n rotznäsiges Großmaul wie dich hier. Wollte aus dem Puff
türmen. Sie kam fünf Meter weit. Dann haben sie uns alle hier im dritten Stock
versammelt und wir durften zusehen, wie sie sie aus dem Fenster geworfen haben.
Sie hat’s überlebt. Sitzt jetzt als Krüppel irgendwo im Westen vor Karstadt und
bettelt. Den Verdienst gibt sie beim Boss ab, und dann dürfen die anderen
Bettler sie besteigen. Als Feierabend-Leckerli.«
»Du lügst doch«, flüsterte Cristi. Sie war ganz blass geworden.
»Sie lügt nicht!« Eine der Frauen, die schon länger da waren, drehte
sich auf ihrer Pritsche um und schaute zu den Neuankömmlingen. »Das Gleiche
haben sie letzte Woche gemacht. Haben Dina dort drüben aus dem Fenster
geworfen. Sie hat Glück gehabt. Sie ist tot.«
Die Ukrainerin fing an zu weinen.
Sofia wandte sich angespannt an die Frau: »Wie lange bist du schon
hier?«
»Knapp über eine Woche.«
»Hast du vielleicht meine Schwester getroffen? Alina. Aus Chişinău. Siebzehn Jahre alt. Etwas größer als ich,
schwarze, lange Haare, tolle Figur …«
»Tut mir leid. Keine Alina.«
»Ganz sicher nicht?«
»Nicht in dieser Baracke. Das wüsste ich.«
Die anderen Frauen redeten weiter, doch Sofia hörte nicht mehr zu.
Bis ihr etwas einfiel. Sie tippte Katya auf die Schulter: »Du hast eben gesagt,
die Unattraktiven werden hier an die Bordelle verkauft. Und die anderen? Die so
schön sind wie Alina? Was passiert mit denen?«
»Die werden auf einer Art Sklavenmarkt für viel Geld an internationale
Käufer versteigert und verschwinden dann auf Nimmerwiedersehen in aller Herren
Länder.«
Sofias Hoffung sank ins Bodenlose.
Bremen.
Christian zeigte dem Hausmeister seinen Polizei-Ausweis sowie
die beglaubigte Übersetzung des Schreibens von Radu Suworow, in dem er ihm
erlaubte, die Wohnung seiner Tochter Sofia zu durchsuchen. Dem Hausmeister
hätte der Polizei-Ausweis genügt, doch Christian wollte korrekt vorgehen. Es gab
für die deutsche Justiz keinen Grund für einen Durchsuchungsbeschluss, also
brauchte er eine Genehmigung.
Der Hausmeister schloss die Wohnung auf und zog sich diskret zurück.
Christian betrat das kleine Apartment zum zweiten Mal und erklärte Herd, dessen
Auge kein noch so winziges Detail entging, den Grundriss. Die beiden streiften
ihre Schutzhandschuhe über.
»Ich fange im Badezimmer an und nehme dann das Schlafzimmer«, sagte
Herd und verschwand im Bad.
Christian sah sich im Wohnzimmer um. Bei seinem letzten Besuch war
die Wohnung aufgeräumt gewesen, fast penibel sauber. Nun wirkte alles wie nach
einem überstürzten Aufbruch. Eine halbvolle Teetasse stand auf dem Tisch, ein
angebissenes Brötchen mit Wurst welkte daneben vor sich hin. Auf dem Sofa waren
einige T-Shirts und Pullover verstreut. Der Geigenkoffer lag in der Ecke neben
dem Notenregal. Christian ging zum Laptop, der auf dem kleinen Schreibtisch
stand, und überprüfte die Chronik. Die letzte Adresse, die Sofia besucht hatte,
war die Website eines Billigfluganbieters gewesen. Christian beschloss, den
Laptop mitzunehmen und von Daniel unter die Lupe nehmen zu lassen.
Herd trat zu ihm. »Sie hat viel geweint, das Badezimmer ist voller
Papiertaschentücher. Sie hat schnell und unkonzentriert gepackt. Ihr Handy hat
sie vergessen, kein Wunder, dass wir sie nicht erreicht haben. Es war im Bad an
die Steckdose angeschlossen.« Herd legte das Handy auf den Wohnzimmertisch. Auf
dem Display waren
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