Parasiten
sphärisch, die Luft seidig, der Duft der Pinien
betörend. Dennoch hatte er sich in der Einsamkeit von Ramatuelle wie begraben
gefühlt. Hier in Paris pumpten der Lärm und das Tempo des Großstadtlebens
überschüssigen Sauerstoff in seine Blutbahnen, er fühlte sich wie wild
schäumender Champagner. Ramatuelle war ein Ort zum Verstecken. Dort lauschte
man dem Klang der Stille und verstummte vor Ehrfurcht selbst. Paris war ein Ort
für Respektlosigkeiten.
Mit neuem Mut hatte er sich entschlossen, aus seinem selbst
gewählten Exil in Südfrankreich aufzubrechen und die Konfrontation mit dem
Leben zu suchen. Zaghaft erst, doch seit er hier war und der Puls der Großstadt
ihn wiederbelebte, wuchs er über alles hinaus, was er bisher von sich kannte.
Er hatte eine Entscheidung getroffen, die ihn verändern würde. Die alles verändern würde. Schon die Aussicht darauf machte ihn
stark.
Mit diesem berauschenden Gefühl betrat er den Laden im fünften
Arrondissement, zu dem ihn eine vertraute Bekanntschaft aus seiner früheren
Pariser Zeit geschickt hatte. Es war ein kleiner Laden für Antiquitäten,
vollgestellt mit allerlei Krimskrams von zweifelhaftem Wert. Da saßen
handbemalte Porzellanpuppen aus den Zwanziger Jahren auf abgewetzten Chaiselongues,
denen nur ein ahnungsloser Tourist das Art déco unterstellte. Es gab Lüster,
die zahllos und verstaubt von der Decke hingen, ein weiß-rosa bemaltes Einhorn
aus Holz, das Kleinkinder als Schaukelpferd benutzen konnten, silbernes und
goldenes Besteck, alte Orden, Kleinmöbel, Bierdeckel, Weingläser, Schmuck,
Uhren, eine Vitrine voller Meerschaumpfeifen und noch vieles mehr.
Bei Danylos Eintritt schellte eine Messingglocke, die über der Tür
hing. Danylo fand genug Muße, sich umzusehen, bevor der Besitzer den schweren
orientalischen Vorhang zu einem hinteren Raum lüftete und nach vorne in die
Geschäftsräume trat. Gemessen an der Anmutung des Ladens hätte Danylo einen
zwergenhaften, alten Mann erwartet, der ihm zu jeder einzelnen Meerschaumpfeife
und jeder einzelnen Brosche eine tragische Geschichte zu erzählen wusste.
Gemessen allerdings an dem, was er hier kaufen wollte, hätte er einen aus dem
Maghreb stammenden Kleinkriminellen erwartet, der noch vor wenigen Wochen in
den Banlieues Autos angezündet hatte, um Sarkozy Druck zu machen.
Danylo sah ein, dass er zu sehr in Klischees verhaftet war, denn vor
ihm stand ein smarter, junger Franzose in tadellos sitzendem Anzug, der ihn
ebenso tadellos nach seinen Wünschen fragte.
Danylo sagte, wer ihn geschickt hatte.
Ohne mit der Wimper zu zucken, griff der Franzose zu seinem Handy
und vergewisserte sich kurz bei Danylos Referenz.
Dann geleitete ihn der Franzose in einen der hinteren Räume. »Was
genau wünschen Sie?«, fragte er. »Halb- oder Vollautomatik?«
Danylo wusste es nicht. Er war ein blutiger Anfänger auf dem Gebiet
dieser Instrumente. Er wusste nur, dass das, was er brauchte, ein besonderes
Lied spielen sollte. Das Lied vom Tod.
14. April 2010
Brcko, Bosnien-Herzegowina.
Der Lastwagen hielt an, endlich. Auf der langen Fahrt
hatte es nur wenige Pinkelpausen für die Frauen gegeben, von frischer Luft
konnte man auf den Autobahntoiletten, zu denen sie auf den ersten paar hundert
Kilometern von ihren Aufpassern geleitet wurden, wahrlich nicht reden. Der
letzte Stopp, der eingelegt worden war, hatte in freier Natur stattgefunden. Es
war kalt gewesen, irgendwann zwischen Mitternacht und Sonnenaufgang. Sofia
hatte dankbar die feuchte Nebelwand wahrgenommen, die sie umschloss, als sie in
der Hocke auf einer Wiese neben der Straße saß. Gierig sog sie die Luft ein,
die nach gemähtem Gras roch und nach Sauberkeit. Die Kopfschmerzen, die sie
seit unbestimmter Zeit begleiteten, wurden ein wenig besser, fast hatte sie das
Gefühl, wieder klar denken zu können. Dann musste sie wie die anderen zurück in
den Lkw, in dem es nach Angstschweiß und ungewaschenen Menschen stank. Sie
fuhren weiter, Stunde um Stunde. Der Wagen holperte über ein Meer von
Schlaglöchern. Die meisten schimpften und klagten, weil ihnen die Knochen auf
dem kalten, harten Metallboden der Ladefläche wehtaten. Sofia hatte sich wie
einige andere die Jacke unter den Hintern gelegt. Irgendwann schlief sie erschöpft
ein, barg ihren Kopf an Katyas Schulter, die trotz ihrer unbequemen Haltung
schon seit längerer Zeit vor sich hin schnarchte.
Durch den abrupten Stopp des Lastwagens wurde Sofias Kopf nach
hinten geschleudert. Sie stieß
Weitere Kostenlose Bücher