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Parasiten

Parasiten

Titel: Parasiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
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sind meine Chancen, nach
Deutschland zu kommen, doch bestimmt größer!«
    »Eben nicht! Die wollen hilflose Mädchen. Einen gebrochenen Willen,
null Selbstbewusstsein und am besten überhaupt keine Sprachkenntnisse. Wenn du
perfekt deutsch sprichst und dich auch noch mit den Behörden und Gesetzen im
Land auskennst, ist die Gefahr viel zu groß, dass du Mittel und Wege findest,
dir Hilfe zu holen und dich abzusetzen.«
    Sofia begriff. Wie dumm sie doch war.
    »Los, jetzt hau ab. Geh dich waschen und schminken, damit du gut
aussiehst auf dem Laufsteg.« Katya drehte sich um, legte sich hin und zog die
Decke über den Kopf. Sentimentalität und Hoffnung konnte sie nur schwer
ertragen.
    Eine Dreiviertelstunde später wurde Sofia mit den anderen Mädchen
abgeholt. Sie mussten in ihrer Unterwäsche und auf Stöckelschuhen die drei
Stockwerke hinab, aus dem Haus raus und über die Straße zu dem Club, den sie
bei ihrer Ankunft gesehen hatten. Selbst jetzt, bei Tageslicht, leuchtete der
»Victoria«-Schriftzug aus grellbunten Neonröhren. Sofia vermutete einen
24-Stunden-Betrieb. Vielleicht brannten die Lichter aber auch nur für die
internationalen Gäste der Auktion. Vor dem Club standen einige teure Wagen mit
Kennzeichen aus verschiedensten Ländern.
    Es war noch nicht mal zehn Uhr, und ein frischer Wind blies durch
die verwaiste Straße. Die Frauen verschränkten die Arme vor der Brust, teils
weil sie froren, teils weil sie sich wegen ihres Aufzugs auf offener Straße
schämten. Sie wurden von drei Aufpassern zum Hintereingang geführt. Dort stank
es nach Abfall, eine Ratte huschte zwischen den durchgerosteten Mülltonnen herum.
Durch einen dunklen Flur wurden sie zu einer großen Bühne gebracht, die mit
schwarzen Stoffen abgehängt war. Strahler, die auf die Bühne gerichtet waren,
blendeten sie. Die Aufpasser stellten sie in einer Reihe auf.
    Unwillkürlich straffte sich Sofia. Im Gegensatz zu den Mädchen und
Frauen neben ihr war sie die Bühne gewöhnt. Sie funktionierte automatisch:
Sobald Scheinwerfer auf sie gerichtet waren, nahm sie Haltung an.
    Sofia blinzelte. Sie musste sich erst an das Licht gewöhnen, dann
erkannte sie etwa zwanzig Personen im Zuschauerraum. Eine Frau war auch dabei.
Sie wirkte wichtig. Sie sah aus wie eine dieser reichen, überschminkten
Russinnen, die sich alles kaufen konnten außer Geschmack.
    Irgendwo im dunklen Hintergrund schaltete jemand Discomusik ein. Den
Frauen wurde befohlen zu tanzen. Ein paar gehorchten sofort, andere mussten ein
zweites Mal aufgefordert werden, bevor sie ihre Körper verängstigt bewegten.
Nach einigen endlosen Minuten wurde die Musik ausgeschaltet. Die Stimme aus dem
Hintergrund befahl den Frauen, die Unterwäsche auszuziehen. Widerwillig kamen
sie der Aufforderung nach. Eine der Frauen bedeckte schamhaft ihre Brüste mit
den Händen, aber sofort kam ein Aufpasser und riss ihre Hände brutal nach
unten. Dann betraten die Gäste aus dem Zuschauerraum die Bühne und umzingelten
die Frauen. Sie fassten die Frauen an, prüften die Festigkeit ihres Fleisches,
die Geschmeidigkeit der Haare. Zwei der Männer öffneten allen die Münder und
wackelten an den Zähnen. Es war wie auf einem mittelalterlichen Sklavenmarkt.
Demütigend und widerlich. Sofia hatte mehr und mehr Schwierigkeiten, in
Gedanken bei Bach zu bleiben. Einige der Männer stellten ihnen Fragen. Nach der
Herkunft, der Ausbildung, den Sprachkenntnissen. Sofia befolgte Katyas
Ratschläge. Sie erwähnte zudem mit keinem Wort, dass sie studiert hatte und
Konzertgeigerin war, sondern gab sich als Verkäuferin in einem
Lebensmittelladen in Chişinău aus. Dann
verließen die Käufer die Bühne wieder und begaben sich an einen großen Tisch
zum Verhandeln.
    Die Frauen wurden zurückgebracht, das Ganze hatte nicht mal eine
Stunde gedauert. Schon bald würden sie von Handlangern abtransportiert und mit
den inzwischen eingetroffenen falschen Papieren in die Länder ihrer Käufer
gebracht werden.
    Kurz bevor es so weit war, setzte sich Sofia ein letztes Mal zu
Katya auf die Pritsche. »Was ist, wenn ich mich an irgendeiner Grenze an die
Polizei wende? Was können unsere Aufpasser dann noch ausrichten?«
    »Welche Grenze? Über die wenigen Grenzstationen, die in Europa noch
existieren, werden nur die Ahnungslosen gebracht. Die, die immer noch glauben,
sie bekommen einen schönen Job als Au-pair oder Putzfrau. Die, die sich mit Tausenden
von Euros bei ihren Schleppern verschuldet haben und nicht ahnen, wie sie

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