Parasiten
es
zurückzahlen müssen. Oder die, die über eine Heiratsvermittlungsagentur
einreisen und sich einbilden, das große Los gezogen zu haben. Die Gekidnappten
wie wir, die werden über grüne Grenzen gebracht.«
»Wozu dann die falschen Papiere?« Sofia war aufs Neue desillusioniert.
»Wegen der Razzien in den Bordellen. Der Chef dort behält die
Ausweise ein. Die belegen, dass ihr alle legal im Land seid. Wo auch immer. Das
Ganze ist super organisiert. Das System ist wasserdicht. Ein Schlupfloch
findest du höchstens per Zufall. Also halt immer die Augen offen und gehorche.
Sonst dröhnen sie dich so zu, dass du nicht mal mehr merkst, wenn plötzlich
eine Tür offen steht. Und irgendwann bist du so dicht, dass du nicht mal mehr
weg willst. Weil dir alles egal ist. Weil du innerlich schon tot und verfault
bist.« Katyas Blick war bei den letzten Sätzen ins Leere abgedriftet.
Sofia begriff, dass Katya von ihren eigenen Zukunftsängsten sprach.
Spontan umarmte sie die neue Freundin. Katya wurde ganz steif und verlegen,
also ließ Sofia sie wieder los. Sie legte ihre Hand auf Katyas Unterarm und
drückte ganz fest zu. »Katya, ich verspreche uns beiden jetzt etwas. Nein, ich
verspreche es nicht, ich schwöre es: Ich werde zuerst
Alina suchen. Ich werde sie finden und ich werde sie retten. Und dann werde ich
dich finden. Und dich retten!«
»Jaja. Und Cristi hat gedacht, sie kann fliegen. Seid ihr in Moldawien
eigentlich alle so scheiß Superheldinnen und scheiß Lara Crofts?«
Sofia nickte: »Sind wir.«
Zwei Aufpasser schlossen die Tür auf und kamen herein. Es war so
weit.
Die beiden Frauen lächelten sich traurig an. Dann erhob sich Sofia
und folgte den Aufpassern, ohne sich noch ein einziges Mal umzusehen.
17. April 2010
Bremen.
Es war ein kühler Samstagmorgen. In der Lessingstraße in
Bremen schien die Welt langsam in die Gänge zu kommen. Menschen verließen ihre
Häuser, mit Taschen und Weidenkörben in den Händen, um zum Wochenmarkt zu
gehen. Ein Mann polierte mit seinem kleinen Sohn die Felgen seines Volvos. Zwei
Mädchen übten, mit ihren Skateboards den Bordstein hoch und runter zu springen.
Danylo stand vor Sofias Haustür und klingelte schon zum zweiten Mal. Er
verstand gut, dass Sofia nicht auf seine Anrufe antwortete. Sie wollte ihn
nicht mehr sehen. Verachtete ihn oder hasste ihn gar, da war er sich sicher.
Deswegen musste er sie aufsuchen. Um Verzeihung bitten und sich vor ihr auf die
Knie werfen. Er hatte doch sonst niemanden, an dem ihm wirklich etwas lag. Den
er wirklich liebte.
Sofia hatte schon lange aufgehört, ihn auf der Mailbox seines Handys
zu beschimpfen. Da waren nur Anrufe von der Polizei drauf, die nach ihm suchte,
und von seinem Vater, der ihn mit deutlichem Vorwurf in der Stimme darüber informierte,
dass die Polizei nach ihm suchte und dass er »verdammt noch mal« wissen wollte,
was mit seinem Sohn los war. Weil ihn all diese Anrufe psychisch total unter
Druck setzten, hatte Danylo sein Handy seit Tagen abgeschaltet.
Seine Pläne machten ihm selbst Angst. Deswegen musste Sofia ihm
unbedingt verzeihen. Bevor sie ihm nicht verziehen hatte, konnte er nichts tun,
er konnte einfach nicht. Er brauchte sie, musste wissen, dass es irgendwo einen
Menschen gab, der an ihn glaubte, der ihm vertraute. Das würde ihm Kraft geben.
Die Kraft, die er brauchte für seinen Plan.
Aber Sofia öffnete nicht. Danylo wusste, dass sie freitags und
samstags nicht an der Hochschule unterrichtete. Sie liebte ihre langen
Wochenenden, um neue Stücke zu erarbeiten. Aber vielleicht hatte sie ihren
Stundenplan ja umgestellt. Gab Zusatzstunden. Er würde zur Hochschule fahren
müssen und sie dort suchen. Unwillig klingelte er zum dritten Mal. Nichts
passierte.
Er wollte gerade gehen, als Sofias Hausmeister mit einem Besen und
einem Eimer aus der Kellertür trat. Danylo kannte ihn flüchtig von einem seiner
Besuche bei Sofia. Er fragte ihn, ob er wisse, wo Frau Suworow sei. Einkaufen
nur? Oder an der Hochschule vielleicht?
Der Hausmeister schüttelte den Kopf und erzählte Danylo besorgt,
dass Sofia Hals über Kopf abgereist sei, laut Aussage der Nachbarin nach
Moldawien. Und dann sei die Hamburger Polizei aufgetaucht, die
überraschenderweise einen Schlüssel zur Wohnung hatte und ein übersetztes
Schreiben von Sofias Eltern, dass sie das Apartment durchsuchen dürften.
Danylo fragte verwirrt nach: »Wie? Ein Schreiben von Sofias Eltern?
Aus Chişinău?«
»Was weiß ich, wie das heißt, wo die
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