Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Parasiten

Parasiten

Titel: Parasiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
Vom Netzwerk:
halten. Aber ich würde gerne noch
weiter mit Ihnen reden. Möchten Sie vielleicht hier warten? Es dauert eine
Stunde, dann bin ich wieder da.«
    Danylo schüttelte den Kopf: »Ich komme mit.« Er erhob sich und nahm
sein Handy von der Steckdose. Viel Saft war nicht drauf, aber für einen kurzen
Anruf bei seinem Vater könnte es reichen.
    »Aus welchem Land sind Sie?«, fragte der Pastor. »Sie haben kaum
einen Akzent.«
    »Ich bin Russe. Mit ukrainischem Anteil.«
    »Also orthodoxer Christ.«
    Danylo grinste: »Musikalischer Christ. Zeigen Sie mir Ihre Orgel,
ich will mich für die Suppe und Ihre Freundlichkeit bedanken.«
    »Sie spielen Orgel? Da wird sich meine Gemeinde aber freuen. Unser
Kantor ist nämlich krank.«
    Danylo folgte dem Pastor den kurzen Weg zur Kirche. Er stieg die
Stufen zur Orgel hinauf und stellte den Hocker ein. Der Pastor ging nach unten.
Die Gemeindemitglieder trafen langsam ein.
    Danylo fielen ein paar Strophen eines Totenliedes aus der Karpato-Ukraine
ein, das ihm seine Großmutter des Öfteren vorgesungen hatte:
     
    Komm, o Sünder, tu doch eilen, / hilf den
Armen aus der Pein, / hör, wie sie um Hilf tun schreien, / die hier im Fegfeuer
sein, / ach, wie schmerzlich sie dort sitzen / und niemals kein Hilf genießen,
/ ja, niemand ist nicht so gut, / der seinem Freund hilft aus der Glut.
    Tochter, hilf doch deiner Mutter, / Sohn,
vergiß deinen Vater nicht, / Schwester, sieh an deinen Bruder, / schau, wie
schmerzlich er dich bitt, / Bruder, tu nicht gar vergessen / auf die liebe
Schwester dein, / hilf ihr doch aus dieser Pein, / ewig wird sie dir dankbar
sein.
    Danylo zog die Register. Seit Tagen hatte er kein Klavier
mehr gespielt, seit Jahren keine Orgel. Als er die Hände auf die Tasten legte,
wurde ihm plötzlich ganz heiß. Seine Hände begannen wie von selbst zu spielen.
Sie hatten sich für Bachs Toccata und Fuge in d-Moll entschieden. Die wuchtigen Töne schwebten und schossen nach oben, tropften
herab, dehnten sich aus und füllten das Kirchenschiff.
    Einige der Kirchengänger hatten noch nicht Platz genommen, als
Danylo zu spielen begann. Sie blieben stehen. In Andacht. Der Pastor stand vor
dem Altar. Er sah nach oben auf Danylos Rücken. Danylo saß kerzengerade, nur
den Kopf hatte er in den Nacken gelegt, als würde er durch alle Himmel schauen.
Dem Pastor schien es, als würde es heller und heller werden in seiner Kirche.
Noch nie hatte er die Toccata so schön, so groß, so
göttlich gehört. Ihm liefen die Tränen die Wangen herunter. Bach war ein
Gottesbeweis und dieser junge Mann sein Sendbote.
    Nach dem letzten Lied, das die Trauergäste sangen, eilte der Pastor
die Stiegen hinauf zur Orgel. Doch da war zu seinem Bedauern niemand mehr.

 
    Hamburg.
    Christian saß mit Anna beim gemeinsamen
Samstags-Frühstück. Anna hatte gestern auf dem Isemarkt jede Menge Leckereien
eingekauft. Es gab türkisches Kräuterbrot, Dillhappen, Krabbensalat,
Rucola-Pesto, Mortadella, Blauschimmelkäse, Tomaten mit Mozzarella und
Basilikum, Frischkäse mit Lauch …
    »Wer soll das denn alles essen?«, staunte Christian über das kulinarische
Aufgebot. Anna hatte den Tisch gedeckt, während er unter der Dusche stand.
Normalerweise war er am Wochenende für den Küchendienst zuständig.
    » Du sollst das essen! Weil du die letzten
beiden Wochen garantiert schon wieder ein paar Kilos abgenommen hast.«
    Wenn sich Christian auf einen Fall konzentrierte, vergaß er das
Essen oft. Vergaß, dass er einen Körper besaß, weil er nur noch in seinem Kopf
lebte. Diese ganzen Fernsehbullen, deren täglich Brot in Schießereien und
Verfolgungsjagden zu Fuß, zu Pferd, zu Wasser und in der Luft bestand, die
brauchten ihre körperliche Fitness zum Überleben und wurden deswegen beim
Einfahren von Kohlenhydraten und Fetten an einer Pommesbude gezeigt. Christian
verbrauchte seine Kalorien beim Denken, und dabei vergaß er eben häufig das
Essen. Also achtete Anna darauf, dass er nicht ausmergelte. Sie wollte etwas
zum Anfassen.
    Christian hatte keinen großen Hunger, aber er tat ihr den Gefallen
und freute sich. Zu seiner Überraschung kam der Appetit beim Essen. Außerdem genoss
er es, mit Anna am Tisch zu sitzen. Er hatte sie diese Woche kaum gesehen, da
sie drei Hauptseminare gab und zudem noch zwei Doktoranden betreute. Und das Wochenende
davor hatte er den Samstag bei einem Gespräch mit Andres Puri im Gefängnis
verbracht und war am Sonntag in aller Frühe nach Moldawien geflogen. Er
beobachtete, mit

Weitere Kostenlose Bücher