Parasiten
verschwunden war.
Alina hörte mit ungläubiger Miene zu, dann begann sie zu zittern und
zu weinen. Anna nahm sie in ihre Arme und hielt sie fest. »Deswegen muss die
Polizei möglichst genau wissen, was Ihnen passiert ist. Damit Sofia gefunden
werden kann.«
»Oh, mein Gott, wenn ihr genau das Gleiche wie mir …« Alinas Stimme
versagte. Sie wurde von Schluchzern geschüttelt.
Anna wartete, bis sie sich wieder beruhigt hatte.
Alina setzte sich auf, so weit das mit ihrer Infusion in der Armbeuge
möglich war, und atmete tief durch. »Ich werde Ihnen alles erzählen. Und dann
finden Sie Sofia, versprechen Sie mir das!«
»Es wird alles Menschenmögliche getan werden, das verspreche ich.«
Alina begann zu erzählen.
Nach etwa einer Stunde wurde Christian unruhig. Außerdem
hatte er keine Lust mehr, mit Thamm bei dünnem Tee in diesem Aufenthaltsraum
zwischen Krebsvorsorgeplakaten zu sitzen und über Politik im Allgemeinen und
die Schwierigkeiten der Polizeiarbeit im Besonderen zu plänkeln. Gerade, als er
aufstand, um nach Anna und Alina zu sehen, kam Anna herein.
»Alina will Tee.«
»Seid ihr immer noch nicht fertig?«, fragte Christian.
»Gib uns noch ’ne Stunde.« Anna sah mitgenommen aus. Sie nahm eine
Kanne Tee aus dem Regal, zwei Tassen und verschwand wieder.
Es dauerte über anderthalb Stunden, bis sie wiederkam. Sie
fand Christian auf einer Bank vor dem Krankenhaus.
»Wieso sitzt du hier im Regen?« Es nieselte nur leicht, dennoch fand
Anna es befremdlich, dass Christian im Freien saß.
»Thamm labert ja schon genug. Aber dann sind Patienten in den
Aufenthaltsraum gekommen, die waren noch redseliger als er. Zwei alte Männer.
Der eine hat alles über Prostatakrebs erzählt, der andere über künstliche
Darmausgänge. Ich hasse Krankenhäuser! Egal. Wie geht es Alina?«
Erschöpft setzte sich Anna neben ihn. Sofort spürte sie die Nässe
durch ihre Jeans. »Eigentlich wollte sie noch ihre Eltern anrufen. Aber während
sie mir alles erzählt hat … Ihr Kreislauf ist fast kollabiert. Der Arzt hat ihr
eine Beruhigungsspritze geben müssen. Jetzt schläft sie. Gehen wir rein zu
Thamm? Dann muss ich nicht alles zwei Mal erzählen.«
Sie erhoben sich. Christian legte seine Lederjacke um Annas
Schultern, damit sie auf dem Weg zurück nicht noch nasser wurde als sie wegen
ihm schon war.
Im Aufenthaltsraum hörte sich Thamm immer noch den Vortrag über
Prostatakrebs an. Sichtlich erschöpft schlug er vor, aufs Revier zu fahren.
Dort waren sie ungestört. Alina schlief sowieso tief und fest, hier konnten sie
nichts tun.
Auf dem Revier angekommen, stellte Thamm die Gäste aus Hamburg
seinen Leuten vor. Die meisten kannten Christian und die Erfolge seiner Soko
vom Hörensagen. Sicher waren einige der Kollegen irritiert über seine
Anwesenheit, aber keiner stellte neugierige Fragen.
Nachdem frischer Kaffee ausgeschenkt war, gingen Thamm, sein Kollege
Lemke, Christian und Anna in Thamms Büro. Anna erzählte, was mit Alina
geschehen war. Sie setzte an, zu Thamm gewandt: »Alina ist bereit, eine
offizielle Aussage zu machen. Betrachten Sie bitte das, was ich Ihnen jetzt
erzähle, als erste, aber inoffizielle Information.«
Thamm nickte und schaltete das Aufnahmegerät wieder aus.
»Danke. Also: Man hat sie in Moldawien in dieser Bar gekidnappt …«
»Dem ›Black Elephant‹«, ergänzte Christian.
»Sag mal, willst du nicht ihre Eltern benachrichtigen?«, fragte Anna
ihn, ihren eben begonnenen Bericht unterbrechend.
»Ich denke, dass Alina das lieber selbst tun möchte.«
»Die schläft mindestens acht bis zehn Stunden. Ich finde, jede
Minute, die ihre Eltern unnötig Angst um sie haben, ist Folter.«
»Sobald ich jemanden gefunden habe, der rumänisch oder russisch
spricht, rufen wir an, okay?«
Lemke schaltete sich ein: »An der Tanke unten an der Kreuzung, der
Typ hinter der Kasse, der ist Russe. Er heißt Leonid. Wie Breschnew. Soll ich
ihn holen?«
Thamm sah Anna und Christian fragend an. Christian nickte: »Wenn wir
hier fertig sind.«
Anna war zufrieden und setzte ihren Bericht fort: »In dieser Bar hat
Alina auf dem Weg zurück von der Toilette einen Schlag auf den Kopf bekommen
und das Bewusstsein verloren. Ich erzähle jetzt die Kurzversion. Aufgewacht ist
sie in einem Auto. Da waren zwei Typen und noch ein anderes Mädchen. Das andere
Mädchen stand so unter Drogen, dass sie nicht ansprechbar war. Sie wurden über
mehrere Zwischenstationen, die sie nicht genau verorten kann, nach
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