Paravion
ließ, dann verschwanden sie lautlos.
Das Geschrei des Esels weckte Mamurra nicht. Sie schlief den ganzen Morgen, der nichts Neues brachte, und erwachte erst gegen Mittag. Eine wirklich schöne Frau ist beim Aufwachen am schönsten, dann, wenn in ihren ausgeruhten Augen ein verwunderter Blick liegt, der Körper durch und durch warm ist und das Haar ein kunstreiches Nest. Und so, wie sie dasaß, gestützt auf die eine Hand, den Kopf gegen die aufragende Schulter gelehnt, die Locken ein Lorbeerkranzgewirbel, die andere Hand schlaff und handflächennackt im Schoß liegend, eine Schale aus Schatten, dasaß mit trägen Muskeln und Wimpern und einem raubtierhaften, dunkelroten Gähnen, war sie zum Anbeißen schön.
Da erst bemerkte sie, daß nicht das Rattern der Zikaden sie geweckt hatte, sondern das stotternde Solex des Postboten, der, umgeben von den Halos der Noon-Sonne, einem Engel gleich auf die Siedlung zugefahren kam.
3
»Hör zu!« sagte die Mutter.
»Nein!« antwortete ihr Sohn bestimmt und stampfte mit den Füßen auf. Als sie die linke Hand erhob, keineswegs in der Absicht, ihn zu schlagen, sondern nur als Drohung, duckte er sich und schaute sie mit einem so herzzerreißend ängstlichen Blick an, daß sie Mitleid bekam. Der rechte Arm war vom Baby besetzt, das unbeirrt und mechanisch an ihrer Brustwarze nuckelte. An der Schläfe des Kindes pochte eine kaum sichtbare Ader wie in einer anderen Welt.
Ob es an der Geburt oder der Abwesenheit ihres Ehemannes lag, sie wußte es nicht; doch sie war spürbar nachgiebiger geworden. Auch die anderen Frauen legten eine Weichherzigkeit an den Tag, was sie selbst anfangs verwirrte, ihnen aber schließlich ein Gefühl der Ruhe verlieh, ja, des Stolzes. Das, so dachten sie sich, sei wahre Mutterschaft, ungeachtet des harten Schicksals, der täglichen Misere und der körperlichen Entbehrungen, die sie durchlitten. Wie erwachsen die Jungen sich auch gaben, es gelang ihnen nicht zu verbergen, wie sehr sie ihre Väter vermißten und wie schwer sie daran zu schlucken hatten, daß sie trotz aller Anstrengungen die Rolle des Mannes nicht so erfüllen konnten, wie ihre Väter es getan hätten oder wie ihre Väter es von ihnen erwarteten. Sie waren einfach noch zu klein dazu.
Sie waren und blieben, trotz rauherer Haut, ausgiebigem, von einem Brummen begleiteten Ausspucken und hingebungsvollem Kratzen an ihren kleinen Hoden, Kinder, Kinder zwar, die auf der Schwelle zur pubertären Hormonhölle standen, aber doch noch Kinder. Es kostete die Mütter viel vergebliche Mühe, sie dazu zu überreden, mit den kleinen Schwestern zu spielen und zwar liebevoll, nicht wie jemand, der nur auf sie aufpassen soll, sondern wie jemand, der Brust und Gebärmutter mit ihnen geteilt hatte. Die Jungen waren entsetzt. Respekt vor der Mutter, das ging ja noch, aber vor der Schwester, vor einem Mädchen!
Die Mütter, wie Mütter übrigens oft, seufzten gutmütig, umarmten die weinenden Mädchen und schleuderten die Splitter der Stöcke, die sie zerbrochen hatten, ins Feuer. Es war immerhin schon ein Fortschritt, daß die Burschen die Mädchen in Ruhe ließen, auch wenn sie ihnen Aufmerksamkeit und Zuneigung verweigerten. Die Mütter schmeichelten und streichelten, was das Zeug hielt, doch das Verhältnis unter den Geschwistern konnten sie dadurch nicht verbessern. Die Mädchen gaben sich alle Mühe, teilten jedes noch so rare und gehütete Stück Süßigkeit mit den Brüdern, doch den Jungen fiel darauf nichts weiter ein als immer wieder zu sagen: »Geh ins Haus!« Ihre Phantasie reichte einfach nicht zu mehr und war in dieser Richtung schon gar nicht trainiert.
Immer wenn eine Mutter den Sohn rief und ihn halb scherzenden, halb flehenden Tones aufforderte, sein weinendes Schwesterchen zu trösten, weil es das blutende Knie beweinte
– ein Kind entdeckt die Welt über die Knie –, tat der Junge mit aufgerissenen Augen ein paar Schritte rückwärts, hob beide Hände zur Abwehr und schüttelte heftig den Kopf. Beharrte die Mutter jedoch darauf, war er es, der in Tränen ausbrach, als hätte er sich gerade massenhaft das Knie aufgeschlagen. Bei diesem Anblick brach das hingefallene Mädchen in Lachen aus, stand auf und streckte dem Bruder die Zunge raus. Dann verschwand der Junge in den Falten der mütterlichen Umarmung, weniger auf der Suche nach Trost als nach einer Erklärung für diese vollkommen überflüssige Demütigung, während das Mädchen nach draußen rannte, um im Schatten des Hauses
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