Paris, Ein Fest Fürs Leben
hochgesteckten leeren Ärmel, wie er mit seiner einen guten Hand eine Zigarette rollte. Er war ein guter Kamerad, bis er zuviel trank, und zu jener Zeit war er, wenn er log, interessanter als manche Leute, die eine Geschichte wahrheitsgetreu erzählten. Aber er war der einzige Dichter, der zu jener Zeit in die Closerie kam, und ich habe ihn nur einmal dort gesehen. Die meisten Gäste waren ältliche, bärtige Männer in ziemlich abgetragenen Anzügen, die mit ihren Frauen oder Freundinnen kamen, und sie trugen oder trugen auch nicht schmale rote Bändchen der Legion d'Honneur an ihrem Rockaufschlag. Wir dachten hoffnungsvoll, es seien alles Wissenschaftler oder savants, und sie saßen beinahe so lange über einem Aperitif wie die Männer in schäbigeren Anzügen, die mit ihren Frauen oder Freundinnen bei einem café crème saßen und das purpurne Bändchen der Palmen der Akademie trugen, die nichts mit der Französischen Akademie zu tun hatte, und wir dachten, daß es Professoren oder Dozenten seien.
Diese Leute machten es zu einem behaglichen Café, da sie alle aneinander und ihren Drinks oder Kaffees oder Kräutertees interessiert waren und an den Zeitungen und Zeitschriften, die in Haltern befestigt waren, und keiner stellte sich großartig zur Schau.
Es gab auch andere Leute, die in dem Viertel wohnten, die in die Closerie kamen, und manche von ihnen trugen die Bändchen des Croix de Guerre an ihrem Rockaufschlag und andere hatten das gelbe und grüne der Médaille Millitaire, und ich beobachtete, wie gut sie mit dem Handicap fehlender Gliedmaßen fertig wurden, und sah die Qualität ihrer künstlichen Augen und den Grad von Geschicklichkeit, mit dem ihre Gesichter wiederhergestellt waren. Man sah immer einen beinahe irisierendschimmernden Abdruck auf den beträchtlich rekonstruierten Gesichtern, ähnlich einer gutfestgetretenen Skipiste, und wir respektierten diese Gäste mehr als die savants oder die Professoren, obgleich die letzteren, auch ohne Verstümmelungen davonzutragen, ihrer Militärpflicht genügt haben mochten.
In jenen Tagen trauten wir keinem, der nicht im Krieg gewesen war, aber völlig trauten wir keinem, und man hatte das starke Gefühl, daß Cendrars vielleicht ein bißchen weniger mit seinem fehlenden Arm hermachen sollte. Ich war froh, daß er am frühen Nachmittag in der Closerie gewesen war, ehe Stammgäste gekommen waren.
An diesem Abend saß ich an einem Tisch draußen vor der Closerie und beobachtete das Vorbeiziehen der großen, langsamen Pferde von den äußeren Boulevards und wie das Licht auf den Blättern und auf den Häusern wechselte. Die Tür des Cafés hinter mir und zu meiner Rechten öffnete sich, und ein Mann kam heraus und ging auf meinen Tisch zu. «Ach, hier sind Sie», sagte er.
Es war Ford Madox Ford, wie er sich damals nannte, er atmete schwer durch seinen dichten, fleckigen Schnurrbart und hielt sich aufrecht wie ein wandelnder, gut gekleideter, hochgestülpter Schweinskopf.
«Darf ich mich zu Ihnen setzen?» fragte er und setzte sich, und seine Augen, die von einem ausgewaschenen Blau waren, blickten unbestimmt unter farblosen Lidern und Augenbrauen auf den Boulevard hinaus. «Ich habe allerhand Jahre meines Lebens damit verbracht, dafür zu sorgen, daß diese Viecher human geschlachtet werden», sagte er. «Das haben Sie mir erzählt», sagte ich. «Ich glaube nicht.» «Ich bin ganz sicher.»
«Sehr seltsam. In meinem ganzen Leben habe ich das niemandem
erzählt.»
«Wollen Sie etwas trinken?»
Der Kellner stand da, und Ford sagte ihm, er wolle einen chambéry cassis haben. Der Kellner war groß und dünn und trug ein paar Haarsträh nen über seinen kahlen Kopf gelegt und hatte einen starken, altmodischen Dragoner-Schnauzbart. Er wiederholte die Bestellung. «Nein, lieber eine fine à l'eau », sagte Ford.
«Eine fine à l'eau für Monsieur.» Der Kellner bestätigte die Bestellung.
Ich hatte immer, wenn ich konnte, vermieden, Ford anzusehen, und in einem geschlossenen Raum hielt ich immer meinen Atem an, wenn ich in seiner Nahe war, aber wir waren an der frischen Luft, und die abgefallenen Blatter wirbelten auf dem Bürgersteig von meiner Seite des Tischs zu seiner hinüber, also sah ich ihn mir genau an, bereute es und blickte hinüber auf den Boulevard. Das Licht hatte wieder gewechselt, und ich hatte den Wechsel verpaßt. Ich trank einen Schluck Bier, um festzustellen, ob es durch sein Kommen schal geworden war, aber es schmeckte noch gut. «Sie sind
Weitere Kostenlose Bücher