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Paris im 20. Jahrhundert

Paris im 20. Jahrhundert

Titel: Paris im 20. Jahrhundert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Akt zusammengestrichen, und so hebt sich der Vorhang nur kurz, um die gefragten Ballette zu begleiten; die Trikots hat man so durchsichtig gemacht, daß sie wie die Natur selbst wirken, und das ergötzt unsere Finanzmänner; die Oper ist übrigens zu einer Zweigstelle der Börse geworden; man schreit hier ganz genausoviel; lauthals werden Geschäfte ausgehandelt, und um die Musik schert man sich kaum noch! Unter uns gesagt, man muß auch zugeben, die Darbietung läßt zu wünschen übrig.«
    »Sehr zu wünschen übrig«, warf Jacques ein; »die Sänger wiehern, kläffen, brüllen, kreischen und tun alles, nur nicht singen. Eine Menagerie!«
    »Was das Orchester betrifft«, fuhr Quinsonnas fort, »so ist es tief gefallen, seit das Instrument nicht mehr ausreicht, um den Instrumentalisten zu ernähren! Kein besonders praktischer Beruf! Ach! Wenn man die vergeudete Kraft der Klavierpedale dazu nutzen könnte, das Wasser aus den Kohlengruben zu schöpfen! Wenn die Luft, die den Ophikleiden entweicht, auch dazu dienen würde, die Mühlen der
Katakombengesellschaft
zu betreiben! Wenn die Hin-und Herbewegung der Posaune auf ein mechanisches Sägewerk angewendet werden könnte, oh! dann wären die Spieler wohlhabend und in großer Zahl vorhanden!«
    »Du beliebst zu scherzen«, rief Michel.
    »Donnerwetter noch einmal«, antwortete Quinsonnas ernsthaft, »ich wäre nicht überrascht, wenn das irgendeinem geschickten Erfinder eines Tages gelingen würde! Der Erfindungsgeist ist in Frankreich so stark entwickelt! Er ist sogar der einzige Geist, der uns noch geblieben ist! Und ich bitte euch, ihr könnt mir glauben, daß er nicht gerade zu aufregenden Gesprächen beiträgt! Aber wer denkt schon daran, sich zu amüsieren? Langweilen wir uns gegenseitig! So lautet die Spielregel!«
    »Gibt es dagegen wirklich keinerlei Abhilfe?« fragte Michel.
    »Keine, solange Finanz und Maschine regieren! Nun ja, ich zürne vor allem der Maschine!«
    »Warum denn!«
    »Weil die Finanz zumindest ein Gutes hat, nämlich daß sie die Meisterwerke bezahlen kann, immerhin muß man essen, selbst wenn man genial ist! Die Genueser, die Venezianer, die Florentiner unter Lorenzo Magnifico, lauter Bankiers und Kaufleute, förderten die Künste! Wären sie Maschinisten gewesen, der Teufel soll mich holen, wenn all die Raffaels, Tizians, Veroneses, Leonardos dann jemals existiert hätten! Man hätte ihnen mit mechanischen Verfahren Konkurrenz gemacht, und sie wären verhungert! Ach! die Maschine! Da muß es einen doch grausen vor den Erfindern und Erfindungen!«
    »Aber immerhin«, sagte Michel, »du bist Musiker, Quinsonnas, du arbeitest! Du verbringst ganze Nächte an deinem Klavier! Weigerst du dich, moderne Musik zu spielen?«
    »Ich! Ach wo! Ich spiele sie wie jeder andere auch! Hier! Ich habe ein Stück komponiert, das dem Geschmack der Zeit entspricht, und ich glaube an seinen Erfolg, wenn es einen Verleger findet.«
    »Und welchen Namen gibst du ihm?«
    »La Thilorienne, Große Fantasie über die Verflüssigung der Kohlensäure.«
    »Ist so etwas denn möglich«, rief Michel.
    »Hör zu und urteile selbst«, antwortete Quinsonnas.
    Er setzte sich ans Klavier oder stürzte sich vielmehr darauf. Unter seinen Fingern, unter seinen Händen, unter seinen Ellbogen gab das bedauernswerte Instrument unmögliche Töne von sich; wie Hagelkörner stießen die Noten aufeinander und prasselten hernieder. Keine Melodie! Kein Rhythmus mehr! Der Künstler erhob den Anspruch, jenes letzte Experiment wiederzugeben, das Thilorier mit dem Leben bezahlt hatte.
    »Nun!« schrie er. »Hört ihr! Versteht ihr! Wohnt ihr dem Experiment des großen Chemikers bei! Seid ihr tief genug in sein Labor vorgedrungen? Riecht ihr, wie die Kohlensäure freigesetzt wird? Jetzt haben wir einen Druck von vierhundertfünfundneunzig Atmosphären erreicht! Der Zylinder bewegt sich! Vorsicht! Vorsicht! Der Apparat fliegt in die Luft! Rette sich, wer kann!«
    Und mit einem Faustschlag, der das Elfenbein hätte zermalmen können, ahmte Quinsonnas die Explosion nach.
    »Uff!« meinte er. »Ist das gut genug imitiert?! Ist das schön genug?!«
    Michel war wie vor den Kopf geschlagen. Jacques konnte sich vor Lachen nicht halten.
    »Auf dieses Stück zählst du also«, sagte Michel.
    »Und ob ich auf dieses Stück zähle!« antwortete Quinsonnas. »Es ist zeitgenössisch! Alle Leute sind Chemiker! Man wird mich verstehen. Aber die Idee allein genügt nicht, es kommt ebenso auf die Ausführung

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