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Paris im 20. Jahrhundert

Paris im 20. Jahrhundert

Titel: Paris im 20. Jahrhundert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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d’Asnières, nahe der alten Befestigungsanlagen.
    Der erste Teil der Reise war vorüber: Michel sprang flink zu Boden, folgte der Rue d’Asnières bis zur Rue de la Révolte, bog nach rechts ein, ging unter dem Railway von Versailles hindurch und erreichte schließlich die Ecke der Rue du Caillou.
    Er stand vor einem bescheiden aussehenden Haus, das hoch und dichtbewohnt war; er fragte den Concierge nach Monsieur Huguenin.
    »Im neunten Stock, die rechte Tür«, antwortete diese bedeutende Persönlichkeit, die zu dieser Zeit von der Regierung angestellt und auch von ihr unmittelbar für diese Vertrauensstelle ernannt wurde.
    Michel grüßte, nahm in der Fahrkabine Platz, und nach wenigen Sekunden stand er auf dem Flur des neunten Stockwerks.
    Er läutete. Monsieur Huguenin kam höchstpersönlich, um zu öffnen.
    »Lieber Onkel«, rief Michel.
    »Liebes Kind!« antwortete der Alte und breitete seine Arme aus. »Endlich bist du da!«
    »Ja, lieber Onkel! Und mein erster freier Tag gehört Euch!«
    »Ich danke dir, mein teurer Sohn«, antwortete Monsieur Huguenin und ließ den jungen Mann in seine Wohnung treten. »Was für eine Freude, dich zu sehen! Aber setz dich: nimm deinen Hut ab! Mach es dir gemütlich! Du bleibst doch, oder?«
    »Den ganzen Tag, lieber Onkel, aber nur, wenn ich Euch nicht zur Last falle.«
    »Was! Mir zur Last fallen! Aber mein liebes Kind! Ich habe auf dich gewartet.«
    »Ihr habt auf mich gewartet! Ich hatte doch gar keine Zeit, Euch zu benachrichtigen! Ich wäre vor meinem Brief hier gewesen!«
    »Ich habe jeden Sonntag auf dich gewartet, Michel, und dein Essen stand immer auf dem Tisch, wie in diesem Augenblick.«
    »Ist das möglich?«
    »Ich war mir sicher, daß du deinen Onkel früher oder später besuchen würdest. Nun ja, es wurde später!«
    »Ich habe nie frei bekommen«, antwortete Michel eifrig.
    »Das weiß ich wohl, mein teurer Sohn, und ich bin dir deshalb auch nicht böse; ganz im Gegenteil!«
    »Ach! Wie glücklich müßt Ihr hier sein!« sagte Michel, während er einen neidvollen Blick um sich warf.
    »Du musterst meine alten Freunde, meine Bücher«, antwortete Onkel Huguenin; »das ist gut so! Das ist gut so! Aber laß uns doch zuerst essen; später plaudern wir über all das, obwohl ich mir fest vorgenommen habe, nicht mit dir über Literatur zu reden.«
    »Oh! Lieber Onkel«, sagte Michel in flehendem Tonfall.
    »Nun denn! Darum geht es ja nicht! Erzähl mir lieber, was du machst, was aus dir geworden ist! In diesem Bankhaus! Was ist aus deinen Ideen …?«
    »Immer noch unverändert, lieber Onkel.«
    »Der Teufel hol’s! Zu Tisch also! Doch mir scheint, daß du mich noch nicht umarmt hast!«
    »Schon geschehen, lieber Onkel, schon geschehen!«
    »Nun denn! Tu es noch einmal, lieber Neffe! Es kann mir nicht schaden, ich habe noch nicht gegessen; es wird mir also höchstens Appetit machen.«
    Michel umarmte seinen Onkel liebevoll, und dann setzten sich die beiden zum Essen.
    Der junge Mann jedoch blickte die ganze Zeit um sich, und tatsächlich gab es Dinge in Hülle und Fülle, die seine Dichterneugier reizen konnten.
    Der kleine Salon, der zusammen mit dem Schlafzimmer bereits die ganze Wohnung ausmachte, war ganz mit Büchern ausgekleidet; die Wände verschwanden hinter den Regalen, und die alten Einbände boten dem Blick ihre schöne, durch die Zeit bräunlich gewordene Farbe dar. Die allzu beengt stehenden Bücher drangen in das angrenzende Zimmer vor, nisteten sich über den Türen und in den Fensternischen ein; man sah sie auf den Möbeln, im Kamin und sogar tief in den halbgeöffneten Wandschränken; diese kostbaren Bände sahen nicht wie jene Bücher der Reichen aus, die in ebenso pompösen wie nutzlosen Bibliotheken untergebracht waren; sie machten den Eindruck, hier daheim zu sein, als Herren im Hause, und sich außerordentlich wohlzufühlen, auch wenn sie übereinandergestapelt waren; im übrigen war kein einziges Staubkörnchen zu entdecken, kein Eselsohr an ihren Blättern, kein Fleck auf ihren Einbänden; man sah, daß eine Freundeshand sie jeden Morgen hegte und pflegte.
    Zwei betagte Polstersessel und ein alter Tisch aus der Empire-Zeit mit ihren vergoldeten Sphinxen und ihren römischen Rutenbündeln bildeten die Einrichtung des Salons.
    Er war nach Süden hin ausgerichtet; aber die hohen Mauern eines Hofes hinderten die Sonne daran, bis zu ihm vorzudringen; nur einmal im Jahr, zur Sonnenwende am 21 Juni, wenn das Wetter schön war, streifte der

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