Paris im 20. Jahrhundert
Jockeys für ihre Rennen, die Wagenverkäufer für ihre Fahrzeuge, die Philosophen für ihre Philosophie, alle haben die französische Sprache zu arm gefunden und haben mit dem Ausländischen fürliebgenommen! Nun denn! Um so besser! Sie sollen sie getrost vergessen! In ihrer Armut ist sie noch schöner, denn sie wollte nicht reich werden, indem sie sich verkauft! Unsere Sprache, mein Kind, die Sprache von Malherbe, Molière, Bossuet, Voltaire, Nodier und Victor Hugo, ist ein wohlerzogenes Mädchen, und du kannst sie unbesorgt lieben, denn die Barbaren des 20. Jahrhunderts haben es nicht geschafft, aus ihr eine Kurtisane zu machen.«
»Gut gesprochen, lieber Onkel, und nun verstehe ich auch die entzückende Manie meines Professors Richelot, der aus Verachtung gegenüber dem heutigen Jargon nur noch in französiertem Latein spricht! Man macht sich über ihn lustig, doch er hat recht. Aber sagt mir, ist Französisch nicht die Diplomatensprache geworden?«
»Ja! Als wohlverdiente Strafe! Auf dem Kongreß von Nimwegen im Jahre 1678! Seine Eigenschaften, Freimut und Klarheit, haben die Diplomatie, die ja selbst die Wissenschaft von der Doppelzüngigkeit, dem Zweideutigen und der Lüge ist, zu dieser Wahl bewogen, so daß unsere Sprache sich mit der Zeit völlig veränderte und verkam! Du wirst sehen, wir werden gezwungen sein, uns eines Tages eine andere zu nehmen.«
»Armes Französisch!« sagte Michel. »Da sehe ich Bossuet, Fénélon, Saint-Simon stehen, sie würden es nicht wiedererkennen!«
»Ja! Mit ihrem Kind hat es ein böses Ende genommen! So ergeht es einem, wenn man mit Wissenschaftlern, Industriellen, Diplomaten und anderer schlechter Gesellschaft Umgang pflegt. Man wird liederlich, man gerät auf Abwege! Wenn ein Wörterbuch von 1960 alle gebräuchlichen Ausdrücke enthalten will, dann ist es doppelt so dick wie eines aus dem Jahre 1800! Du kannst dir wohl denken, was man darin alles findet! Aber zurück zu unserer Truppenschau, man soll die Soldaten nicht allzu lange bewaffnet strammstehen lassen!«
»Hier sehe ich eine Reihe mit schönen Bänden.«
»Schön und mitunter auch gut!« antwortete Onkel Huguenin. »Das ist die vierhundertachtundzwanzigste Ausgabe der Werke Voltaires in Einzelbänden: ein universaler Geist, der zweite in allen Gattungen laut Monsieur Joseph Prudhomme. Im Jahre 1978 wird Voltaire, so sagte Stendhal, Voiture sein, und die Halbdummen werden schließlich ihren Gott aus ihm machen. Zum Glück hat Stendhal die kommenden Generationen überschätzt! Halbdumme? Es gibt in Wirklichkeit nur mehr vollständig Dumme, und Voltaire wird nicht mehr angebetet als irgendein anderer! Um unsere Metapher weiterzuspinnen, so war Voltaire meiner Ansicht nach nichts als ein Stubengeneral! Er schlug sich nur in seinem Zimmer und setzte sich mit seiner ganzen Person nicht genug ein. Sein Spott, eine alles in allem wenig gefährliche Waffe, versagte zuweilen, und die Leute, die er vernichtet hat, haben länger gelebt als er.«
»Aber Onkel, war er nicht ein großer Schriftsteller?«
»Ganz gewiß, lieber Neffe, er war die Inkarnation der französischen Sprache, er wußte sie mit Eleganz und Geist zu gebrauchen, ebenso wie einst jene Fechtlehrer bei den Regimentern im Fechtsaal auf die Wand losgingen. Im Gelände kam dann ein ungeschickter Rekrut, der den Meister beim ersten Waffengang tötete, indem er einen Ausfall machte. Kurz und gut, Voltaire war, und das ist verwunderlich bei einem Mann, der so gut Französisch schrieb, nicht wirklich tapfer.«
»Das will ich glauben«, sagte Michel.
»Gehen wir weiter«, antwortete der Onkel und wandte sich einer neuen Reihe von Soldaten zu, die eine düstere und gestrenge Miene trugen.
»Das sind die Autoren vom Ende des 18. Jahrhunderts«, sagte der junge Mann.
»Ja! Jean-Jacques Rousseau, der die schönsten Dinge über das Evangelium gesagt hat, so wie Robespierre die bemerkenswertesten Gedanken über die Unsterblichkeit der Seele schrieb! Ein echter General der Republik, in Holzschuhen, ohne Schulterklappen und ohne bestickte Gewänder! Nichtsdestoweniger hat er stolze Siege errungen! Hier! Neben ihm siehst du Beaumarchais, einen Tirailleur aus dem Vortrupp! Er hat jene große Schlacht von 89, bei der die Zivilisation über die Barbarei siegte, im richtigen Augenblick begonnen! Leider hat man seitdem damit ein wenig übertrieben, und dieser verteufelte Fortschritt hat uns dahin geführt, wo wir jetzt stehen.«
»Vielleicht wird man sich irgendwann
Weitere Kostenlose Bücher