Paris ist eine Messe wert
ans Ende der Zeiten sicher.«
Er ging, und vor Müdigkeit schlief ich noch einmal ein und sah mich im Traum mit durchbohrter Brust in der Seine treiben, |257| wo meine Leiche – wie die Opfer der Bartholomäusnacht – sich im Schilf der Flußbiege bei Chaillot verfing. Doch gleichzeitig befand ich mich unter den Neugierigen, die von weitem nach meinem Kadaver spähten, als Schiffer ihn mit Stangen ans Ufer holten. Was mich sehr verwunderte, aber in gewisser Weise auch beruhigte, denn mein verworrener Gedanke war, daß ich trotz allem wohl von dieser Welt sein müsse, wenn ich mich selbst als Toten sah.
Dennoch war die Angst, mich zu täuschen, groß, so daß ich davon erwachte und mir das Herz klopfte wie ein Glockenschlegel. Beschämt raffte ich mich. Trotzdem glaubte ich, und glaubte ich lange, an den prophetischen Teil dieses Traums, denn sicherlich würde die Leiche der Vasselière in Chaillot angeschwemmt werden, was ich mit Sicherheit von L’Etoile erführe, wenn ich nach Paris zurückkäme, wo man zuerst viel vom plötzlichen Verschwinden der Dame sprechen würde, allmählich dann weniger und zuletzt gar nicht mehr, schließlich hatte der Adel in diesen bedrängten Zeiten andere Katzen zu jagen.
Und Miroul hatte ja sehr besonnen gehandelt, als er den beiden Lakaien befahl, die Sänfte der Vasselière aus dem Hôtel Montpensier in deren Wohnung zu schaffen, sie samt ihren Livreen dort zu lassen und uns dann mit zehn Klafter Abstand zu folgen, damit sie ja nicht mit uns gesehen würden. In gleicher Voraussicht verzichtete ich darauf, ihre Familiennamen wie auch den von Miroul in meinen Paß einzusetzen, ich beließ es bei meinem Namen nebst anonymen »drei Commis«.
Am Morgen des 24. Juli rollte meine Kutsche durch die Porte Saint-Denis. Der wachhabende Offizier warf kaum einen Blick auf meinen Paß, weil gleichzeitig mit mir viele arme Leute, mit Messern oder Sicheln bewaffnet, hinausdrängten in die Felder im Umkreis der Mauern, die, von besagten hohen Mauern gesehen, sich unter der Julisonne verheißungsvoll wellten. Der Offizier warnte die Leute, Navarras Soldaten würden sie erschießen oder niederstechen, doch sie wollten nichts hören, so wild machte sie der Anblick des schönen goldenen Getreides. Taub für Ermahnungen, blind für die Gefahr, schwenkten sie Messer und Sicheln, schrien »Korn!«, »Brot!«, »Korn!«, »Brot!«, und um einen Aufruhr zu vermeiden, ließ der Offizier sie ziehen, so daß meine Kutsche nur kurz vor ihnen die erste Sperre der |258| Royalisten erreichte. Nachdem ich diese ohne Aufhaltung passiert hatte, ließ ich halten und stieg aus, um zu sehen, was aus den Unglücklichen wurde.
Nun, die Königlichen schienen zuerst verunsichert vor dem friedlichen Ansturm der armen, klapperdürren Leute, die nur die Worte »Korn!« und »Brot!« schrien und ihre Klingen so gar nicht bedrohlich in den schwachen Händen schwenkten. So ließen die Soldaten sie denn zuerst trotz ihrer Anzahl, die in die Tausende gehen mochte, hindurch. Und die Ausgehungerten fielen über das erstbeste Kornfeld her wie die Heuschrecken, rissen Ähren ab und stopften sie ganz in den Mund, ohne die Körner erst aus den Spelzen zu lösen, warfen sich sogar längelang über die Halme und bedeckten sie mit dem Leib, um sich wenigstens einen Teil der Beute zu sichern. Inzwischen kam, durch den Tumult alarmiert, ein königlicher Offizier, erblickte entrüstet die Plünderung und befahl den Arkebusieren, dagegen vorzugehen. Was zuerst durch Schreie geschah, und als diese sich als nutzlos erwiesen, mit der Breitseite der Kurzschwerter, und als auch das nichts nützte, so stur waren die Fresser, mit Piken und Spießen, die mehr als einen verletzten, so daß mehrere humpelnd und blutend zurückwichen, Ähren in den Händen, so viele sie umklammern konnten, während andere sich nicht vom Fleck rührten, entschlossen, sich eher niedermähen zu lassen, als das Festmahl zu verlassen.
Dann kam durch einen galoppierenden Reiter königlicher Befehl, die Unglücklichen nicht zu vertreiben. Worauf die Arkebusiere, die es nur wider Willen getan hatten, an die Barrikaden zurückkehrten. Doch währte die Schonung nicht, denn nun tauchten vom nahen Dorf her ein starker Trupp Ackerknechte mit Dreschflegeln auf, die von ihren Herren ausgeschickt waren, und schlugen weit grimmiger und rücksichtsloser als die Soldaten auf die Ausgehungerten ein. Ich mochte nicht weiter zusehen und stieg, bedrückt von der jammervollen Szene, in
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