Paris ist eine Messe wert
Zuhause fehlt mir.«
»Ich sage es meinem Vater, Alazaïs, weil du zu seinem Gesinde gehörst.«
Die Sonne strahlte an diesem Juliende und überließ zur Nacht dem Vollmond das Feld. Ich weiß noch, wie sein sanftes Licht weit in Angelinas Zimmer fiel, wenn ich, den Kopf auf dem Ellbogen, nach unseren Tumulten zusah, wie sie schlief. Schöne Leserin, wenn Sie einmal wie ich das geliebte Wesen im Schlummer betrachtet haben, kennen Sie gewiß die Süße, die einem das zärtliche Herz dann schwellt. Weil es da still und stumm bei einem ruht, ohne Augen, ohne Ohren, und uns so nahe mit allem, was an Leben in ihm ist, so schwach und sanft und wehrlos, so unschuldig an seinen Irrungen, so unwissend um seine Anmut, daß es nicht einmal weiß, wieviel Glück es einem schenkt … Ha! dachte ich, meine Angelina, wo sind jetzt die Leiden hin, die unsere Fremdheit dir und mir bereitet hat? Wo sind die Mysterien, die Zweifel geblieben, die Ängstigungen und Unbegreiflichkeiten deiner Seele? In welche Tiefen sind diese Kraken hinabgesunken? Mein Gott! Hätte ich nur für zwei Heller Verstand gehabt –, ich hätte aufgehört mit den endlosen Fragen und mich begnügt, und sei es blindlings, die Angelina zu lieben, die ich da an meiner Seite sah: eine mir zur Hälfte unbekannte Insel …
Der doppelte Boden meiner Kutsche war mit Eßwaren erneut reichlich gefüllt, und ob ich wollte oder nicht, hieß es nun ungesäumt zum Aufbruch blasen, denn ich hegte die törichte Befürchtung, wenn ich noch länger verweilte, würde ich in Saint-Denis eintreffen, nachdem Paris sich schon ergeben hätte. So blind ist der Mensch, selbst vor der nächsten Zukunft!
Ich kroch also wieder in meinen Tuchhändlerrock und verließ bei einfallender Dunkelheit Chêne Rogneux. Mein Vater und Angelina begleiteten uns zu Pferde ein Stück Wegs bis zum Ausgang von Montfort. Dort ließ ich Miroul halten, nahm Abschied von meinem Vater und von Angelina, und als sie noch einmal zu mir in die Kutsche sprang, während mein Vater ihre Zügel hielt, schlang sie mir die Arme um den Hals und fragte mich leise nach einer Adresse, an welche sie mir schreiben könnte.
»Angelina«, sagte ich, »in Paris geht es nicht. Aber wenn du |282| mir ein Sendschreiben schicken willst, richte es an Monsieur de Rosny, Grand’rue in Saint-Denis. Er läßt es mir sicher zukommen. Aber wieso kannst du wieder schreiben, Angelina?« setzte ich hinzu. »Hast du im Daumen nicht die Gicht?«
»Die hatte ich nie«, sagte sie voll Scham, die Lider gesenkt, »auch das war eine der Lügen, zu denen Larissa mich zwang.«
Ihre Antwort verblüffte mich, und aus mehr als einem Grund. Denn ich entsinne mich genau, daß ich Larissas Tod aus einem Brief Florines erfuhr, worin sie sagte, sie habe die Feder für Frau Angelina ergriffen, weil deren Daumen von der Gicht steif und geschwollen sei. Aber nicht das allein ließ mich aufhorchen. Als ich Angelina damals wiedersah und ihr Betragen dem Larissas allzu ähnlich fand, wurde mein Verdacht, diese hätte die Stelle meiner Gemahlin eingenommen, durch die angebliche Gicht erhärtet, so unwahrscheinlich diese auch war bei einer noch jungen Frau, die mäßig aß und noch mäßiger trank. Doch wenn es etwas gab, worin Larissa niemals vermocht hätte, sich für Angelina auszugeben, so war es ihre Schrift, denn in den Klosterjahren war ihre Erziehung stark vernachlässigt worden. Sie konnte kaum zwei Worte kritzeln, und das noch unleserlich, während ihre Schwester eine klare, elegante Schrift hatte und einen vorzüglichen Stil. Daß Angelina nun also versprach, mir zu schreiben – was sie in all den vergangenen Monaten nie getan hatte –, schien mir das gleiche wie ihre Forderung, ihre Fruchtbarkeit zu erproben.
Ja, diese Gedanken, wie ich sie hier wiedergebe, zogen durch meinen Sinn, und fast berstend vor möglichen Freuden, hätte ich sie noch manches fragen mögen, was mir unklar blieb. Doch mein Vater wartete, die Stunde drängte, und vor allem wurde ich von dem neuen Vertrauen getragen, bald einen Brief zu erhalten, der mir in zweifacher Hinsischt die Last des Argwohns endgültig vom Herzen nähme. So sagte ich denn keinen Ton hiervon, bedeckte nur unter Tränen ihr schönes Gesicht mit tausend Küssen, bis wir schieden und sie wieder in den Sattel stieg.
In Saint-Denis begab ich mich geradewegs zu Monsieur de Rosny, den ich bat, uns zu beherbergen, meine Kutsche, meinen Miroul und mich, um, wie ich sagte, der inquisitiven Gastfreundschaft
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