Paris ist eine Messe wert
hatte recht. |277| Und es war sehr feinfühlig beobachtet von einem alten Hugenotten, der wie so viele – und wie ich selbst – über die Geschichte hätte lachen können, ohne zu bedenken, was unsere papistischen Brüder daran kränkte. »Brüder« nenne ich sie, weil ich so sehr wünsche, daß sie uns endlich doch gute Brüder werden.
Nachdem ich meinem Vater gute Nacht gewünscht hatte, klopfte ich voller Furcht vor dem erbetenen Gespräch an Angelinas Tür. Da stand sie im langen blauen Nachtgewand, das bis auf ihre blauen Samtpantöffelchen fiel, und mit gelösten Haaren, die ihr bis zu den Hüften reichten, aufgestützt am weit offenen Fenster, das nach dem Wald von Mesnuls schaute. Der Vollmond tauchte sie in ein mildes Licht, das die ersten Falten in ihrem schönen Gesicht und die ersten grauen Haare in ihrem goldenen Vlies verschwinden ließ, und sie erschien mir durch barmherzigen Zauber wie in ihrem Jugendglanz.
»Madame«, sagte ich, indem ich mich neben ihr aufstützte, »Ihr wolltet mich sprechen?«
»Ja, Monsieur«, sagte sie, ohne mich anzusehen, mit bebender Stimme. Worauf sie verstummte, als hätten die paar Worte ihren Mut erschöpft.
»Sprecht, Madame«, sagte ich, gerührt von Mitgefühl und wie durch ihre Erregung ermutigt. »Sprecht ohne Scheu.«
»Nun ja«, sagte sie ein wenig beherzter, doch immer noch, ohne mich anzusehen, »seit ich wieder ich selbst bin, wünsche ich mir, daß Florine mir meine Bosheiten verzeiht und in meinen Dienst zurückkehrt. Ich habe sie immer geliebt und vermisse sie sehr.«
»Aber, Madame«, sagte ich, von diesem Anfang etwas enttäuscht, konnte ich doch schwerlich glauben, daß sie nicht mehr auf dem Herzen hatte, »seid Ihr Euch sicher, daß Ihr sie nicht mehr drangsalieren werdet wie nach Larissas Tod?«
Bei diesem Namen schrak sie zusammen, und ich sah in der Mondeshelle ihre Lippen zittern und ihre Wimpern schlagen. Doch sie faßte sich.
»Ich bin mir ganz sicher«, sagte sie. Und sagte es in entschiedenem Ton, obwohl ihre Stimme bebte.
»Ich weiß nicht, woher Ihr diese Sicherheit nehmt.«
»Monsieur«, sagte sie, indem sie sich, wie von meinem Zweifel getroffen, straffte, »ich bin mir so sicher, wie ich nur sein kann, denn ich habe es Gott dem Allmächtigen gelobt.«
|278| »Wenn ich Euch glauben kann, Angelina«, sagte ich in sanfterem Ton, »heißt das auch, daß die Zeit Eurer Narreteien vorüber ist?«
»Meiner Narreteien!« entgegnete sie wie entrüstet, »ach, bitte, mein Herr Gemahl, nennt sie nicht meine! Es waren nicht meine Narreteien.«
»Wessen dann?«
»Larissas!« sagte sie, und ihre Augen blickten geweitet, als begreife sie meine Blindheit nicht. »Ja, Larissas«, wiederholte sie, »die mich seit ihrem Tod beherrscht und mir mein Betragen diktiert hat.«
Ich war verblüfft, nicht über das, was sie sagte, doch über diesen Ton vollkommener, ruhiger Überzeugtheit.
»Angelina«, sagte ich geduldig, »das ist schierer Unsinn. Ihr könnt nicht Ihr selbst und Larissa in einem gewesen sein, nicht gleichzeitig und nicht nacheinander. Wenn Ihr heute wieder Angelina seid, so weil Ihr Larissa nur durch eine verhängnisvolle Nachahmung wart.«
»Aber, nein! Nein!« rief sie leidenschaftlich, »ich habe sie nicht nachgeahmt. Sie wohnte in mir.«
Ich sah, daß ich diese ihre Überzeugung niemals würde erschüttern können, und nach einiger Überlegung ließ ich mich wohl oder übel auf ihr Spiel ein.
»Und wann hörte Larissa auf, in Euch zu wohnen?«
»Das war eine Sache«, sagte sie, um Genauigkeit bemüht, »die nicht mit einemmal geschah, sondern in Stufen. Die erste Stufe war erreicht, als Ihr unseren Schlaf trenntet.«
»Das war an dem Tag«, sagte ich ziemlich kühl, »nachdem Ihr Monsieur de Saint-Ange Avancen gemacht hattet.«
»Doch nicht ich!« rief Angelina entrüstet. »Dieses beschämende und zuchtlose Benehmen war allein Larissas Werk.«
»Fahrt fort, Angelina«, sagte ich mit einem Gefühl von Ohnmacht und Überdruß. »Bitte, fahrt fort! Ihr wart bei der ersten Stufe Eurer Loslösung von Larissa. Was war die zweite?«
»Als Ihr Florine zu Gertrude schicktet. Und die dritte, als ich aus Worten, die Ihr bei Eurem Abschied sagtet, begriff, daß Ihr den Verdacht hegtet, ich sei nicht Angelina, sondern Larissa.«
»Den Verdacht hatte ich, das ist wahr«, sagte ich gedehnt. »Und um ehrlich zu sein, ich bin ihn noch nicht los.«
»Ha, Monsieur!« sagte sie mit einem anklagenden Blick, |279| »Ihr brauchtet Euch nur
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