Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Paris ist eine Messe wert

Paris ist eine Messe wert

Titel: Paris ist eine Messe wert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merle Robert
Vom Netzwerk:
mit ihrer hellen Stimme, »auf einmal seid Ihr zwei, statt einem.«
    »Dies ist mein Sekretär, Lisette, und während ich mich mit deinem Herrn unterhalte, unterhält er dich, wenn du willst.«
    »Oh, er hat ja zwiefarbene Augen!« rief Lisette, »und Männer mit zwiefarbenen Augen sollen sehr zügellos sein.«
    »Weil sie zwei Schönheiten erblicken, wo nur eine ist«, versetzte Miroul, der einem Weib nie eine Antwort schuldig blieb. »Eine braune und eine blaue. Was daher kommt, daß ihr Gemüt doppelt erregt wird von den animalischen Geistern, die in ihrer Zirbeldrüse kreisen.«
    »Wie gelehrt Ihr sprecht!« rief Lisette. »Ihr habt wohl gar studiert, Herr Miroul?«
    »Mira quaedam in cognoscendo suavitas et delectatio«
, erwiderte Miroul und beutete prompt seinen Vorteil aus. »Was etwa heißt, daß Erkenntnis süß und köstlich ist.«
    »Lisette, du siehst«, sagte ich ernst, »daß du Miroul vertrauen kannst. Er ist ein höflicher und sehr gelehrter Mann.«
    »Jaja, Herr!« sagte Lisette, an ihrem Brusttuch nestelnd, »die Gelehrten kenne ich, die Süße und Köstlichkeit in der Kenntnis suchen.«
    Worauf ich lachte, konnte sie, wenn sie das sagte, doch nur ihren Herrn im Sinn haben.
    »Ihr habt gut lachen, Monsieur!« sagte Lisette, »aber ich, die ich aus gutem Hause bin, muß in diesem hungernden Paris ständig auf der Hut sein, wenn ich einen Fuß vor die Tür setze, daß ich nicht eingefangen, genotzüchtigt und womöglich sogar gefressen werde.«
    »Gefressen, Lisette?«
    »Jawohl, gefressen, Monsieur! Wißt Ihr nicht, daß die Landsknechte, die schon an sich die grausamsten Barbaren sind …«
    |298| »Was? So schlimm sind sie?«
    »Sehr schlimm, Monsieur! Ein toter Landsknecht, sagt man, kann nicht mal in die Hölle kommen, weil der Teufel sich vor ihm fürchtet. Und vor Hunger machen diese verruchten Kerle jetzt Jagd auf kleine Kinder und junge Mädchen, und die braten sie wie Lämmer am Spieß auf dem Kirchhof der Saints-Innocents und fressen sie bis auf die Knochen.«
    »Was sagst du da, Lisette? Auf dem Innozentenkirchhof, hier auf der anderen Seite dieser Mauer? Weißt du das gewiß? Hast du es gesehen?«
    »Monsieur, wer wagte sich wohl bei Nacht auf einen Kirchhof? Wo Irrlichter und böse Geister ihr Wesen treiben, wo die Skelette toter Seelen klappernd im Mondschein tanzen! Wahrhaftig, nicht mal die kleine Zehe setzte ich dorthin! Aber ich hab es über die Mauer gerochen, just von der Stelle her, wo im August der Wunderstrauch der Bartholomäusnacht erblüht sein soll, ein Bratengeruch, daß einem speiübel wurde.«
    »Vielleicht ein gekaperter Kapaun!« sagte ich lachend. »Nein, nein, das glaube ich erst, wenn ich es sehe. Jedenfalls, Lisette, kannst du Mirouls Gesellschaft annehmen: Er nährt sich von Latein, dich frißt er nicht.«
    »Nur mit den Augen!« sagte Miroul.
    »Ha!« sagte Lisette, »das Auge ist der Herold der Hand.«
    Worauf Lisette endlich geruhte, mich ihrem Herrn zu melden, der mit süßsaurer Miene aus seiner Tür trat.
    »Gilt die Ehre Eures Besuchs, mein lieber Pierre, Lisette oder mir?« fragte er, indem er mich trotzdem umarmte.
    »Euch, mein lieber Freund!« sagte ich lachend.
    »Herr Großauditor, ich bin Euer Diener«, sagte Miroul.
    »Miroul!« sagte Pierre de L’Etoile, »komm herein, komm herein!«
    »Monsieur, das ist zuviel der Herablassung«, sagte Miroul ungewohnt bescheiden, »ich kenne meinen Platz. Ich kann im Vorzimmer warten.«
    »Kommt nicht in Frage«, sagte L’Etoile mit einem Blick auf Lisette. »Ich weiß sehr wohl, wie dein Herr dich schätzt. Tritt bitte ein.«
    »Wie Ihr wollt, Monsieur«, meinte Miroul, einem Kater gleich, dem eine Maus durch die Lappen geht, »und vielen Dank für die Ehre.«
    |299| »Mein lieber L’Etoile«, sagte ich, indem ich Platz nahm, »ist es wahr, was Lisette erzählt, daß Landsknechte derzeit Jagd auf Kinder machen und sie fressen?«
    »Leider ja!« sagte L’Etoile und seufzte. »Ich hielt es zuerst für ein grausiges Gerücht, aber seit einige das Verbrechen gestanden haben, ehe man sie hängte, bleibt kein Zweifel. Zwei Kinder wurden im Hôtel Palaiseau verzehrt und eins im Hôtel Saint-Denis. Und der drohende Galgen hält andere Landsknechte angeblich nicht davon ab, Sabbat mit zartem Fleisch auf unserem Innozentenkirchhof hier zu halten, weshalb sich keiner guten Mutter Sohn mehr zur Nacht dorthin getraut.«
    »Und der Nachtwächter?«
    »Der Nachtwächter ist vor Hunger zu schwach.
O tempora, o mores!

Weitere Kostenlose Bücher