Paris ist eine Messe wert
«
klagte L’Etoile, die Augen himmelwärts erhoben.
Um seine gewohnte Litanei über den Verfall der Sitten abzukürzen, fragte ich, ob er gestern, zum »Tag des Brotes«, am Palais war.
»Behüte Gott! Behüte Gott!« rief L’Etoile erregt. »So dumm war ich nicht, ebensowenig wie der Anstifter dieses tollköpfigen Unternehmens, der zog die Fäden und blieb in seiner Stube sitzen.«
»Wer?«
»Präsident Brisson.«
»Was! Der Gerichtspräsident Brisson? Der höchste Mann des Hohen Gerichts? Ich dachte, er sei ein Ehrenmann!«
»Das ist er auch!« sagte Pierre de L’Etoile und zog seinen bitteren Mund. »Aber gleichzeitig ist er der größte Unheilstifter. Als am Tag der Barrikaden Heinrich III. aus Paris vertrieben wurde, blieb Präsident Brisson in der Stadt, anstatt sich, wie andere Mitglieder des Gerichtshofs, nach Tours zu Seiner Majestät zu begeben. Er begnügte sich, dem König einen geheimen Brief zu senden, worin er versicherte, daß alles, was die ›Sech zehn ‹ diktierten, gegen sein Gewissen geschehe. Damit verlor Brisson das Vertrauen des Königs, ohne das der ›Sechzehn‹ zu gewinnen.«
»Und was bezweckt der Heuchler jetzt?«
»Das habt Ihr doch gesehen! Weil er glaubt, Navarras Einzug in Paris stehe dicht bevor, wollte er diesem vorarbeiten. Aber wie unsinnig! Sein ›Tag des Brotes‹ war ebenso schlecht bedacht wie durchgeführt. Ja, wenn sie wenigstens friedlich |300| protestiert hätten! Aber wozu die Waffen? Was hätten ein paar vereinzelte Piken und Schwerter denn ausrichten können gegen die Arkebusen des Chevalier d’Aumale? Und was ist eine bewaffnete Unternehmung, wenn ihr Anführer, anstatt sich an ihre Spitze zu stellen, bequem zu Hause hocken bleibt? Kurzum, es war ein Desaster für die Ärmsten, und reiche Ernte für die ›Sechzehn‹, die leichten Herzens all diesen großen ›Politi kern ‹ die Lampe ausgeblasen hätten …«
»Wenn nicht?« warf ich wie unwissend ein.
»Wenn der Herzog von Nemours nicht herbeigesprengt wäre und es verhindert hätte. Wackerer Nemours! Die überwiegende Hälfte des Pariser Gerichts verdankt ihm heute das Leben!«
Sosehr ich auch darauf brannte zu sagen, daß sie es ein wenig auch mir verdankten, schwieg ich lieber, als ich sah, daß L’Etoile, der für gewöhnlich alles wußte, von meiner Rolle in dieser Geschichte keine Ahnung hatte. Ich wollte nicht, daß er etwas von der Ernährung der Lothringer Fürstinnen erfuhr, auch nicht von meiner Verbindung zu Frau von Nemours, die, wenn ich Vorsicht walten ließ, meinem König vielleicht ebenso nützlich werden konnte, wie sie meinem Herzen wohl tat.
»Immerhin«, sagte ich, »ob gut, ob schlecht, hat Präsident Brisson zumindest etwas versucht.«
»Es bringt doch nichts«, sagte L’Etoile mit herabgezogenen Mundwinkeln. »Navarra bleibt jenseits der Mauern, vögelt eine Nonne nach der anderen und läßt sich von Gondi und d’Epinac mit dem Köder eines allgemeinen Friedens hinhalten.«
»Glaubt Ihr, daß Navarra anbeißt?«
»Kaum.«
»Navarra«, sagte ich, »hat eben zu wenige Truppen, um die Mauern zu sprengen. Entweder er kriegt Paris durch Aushungern, oder er kriegt es nicht.«
»Also kriegt er es nicht!« sagte L’Etoile bitter. »Die Bürger sind mit ihrem Aufruhr gescheitert, und vom kleinen Volk ist nichts zu erwarten, es ist verblödet vom Hunger, von den Pfaffen irregeführt und von d’Aumale terrorisiert. Außerdem sterben sie täglich zu Hunderten, Ihr werdet es auf den Straßen gesehen haben. Sie sterben so schnell, daß kaum Zeit ist, sie unter die Erde zu bringen.«
»Hatte Nemours nicht verfügt, daß die Klöster die Armen ernähren sollten?«
|301| »Bah!« sagte L’Etoile. »Ihr kennt doch die Mönche! Sie ließen sich von den Armen, die sie ernähren sollten, erst einmal ihre Hunde und Katzen bringen. Die wurden abgebalgt, die Felle sorglich zur Seite gelegt, die Kadaver in großen Kesseln zu Brühe gekocht, und jeden Tag gab es für die Armen des Sprengels einen Löffel von dem Fleisch, manchmal noch einen Brotkanten. Nach vierzehn Tagen blieb der Brotkanten aus. Nach drei Wochen die Brühe aus Hund und Katze. Und nach vier Wochen wurden den Armen die Felle der Hunde und Katzen verkauft, die sie den Mönchen selbst gebracht hatten.«
»Höre ich recht? Verkauft? Für Geld verkauft?«
»Ihr hört ganz recht! Dreißig Sous ein Hundefell. Ein Katzenfell fünfzehn Sous. Mal mehr, mal weniger, je nach Größe. Das Fell wird abgelöst, die Haut gekocht,
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