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Paris ist eine Messe wert

Paris ist eine Messe wert

Titel: Paris ist eine Messe wert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merle Robert
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ihrer Unersättlichkeit den halben Tag verschlang, wollte ich genauer wissen, welches Leiden die arme Larissa so schnell dahingerafft hatte. Doch Angelina wiederholte Wort für Wort, was sie Florine in die Feder diktiert hatte, und das Sonderbarste daran war, daß sie es kalt und trockenen Auges wiederholte.
    »Aber, wie ertragt Ihr es«, fragte ich, ohne Maßen von ihrer Gefaßtheit überrascht, »daß Ihr Eure Schwester verloren habt, die doch gleichsam Euer zweites Ich war?«
    Worauf sie mit einemmal argwöhnisch von der Seite nach mir blickte, bevor sie die schönen Rehaugen niederschlug.
    »Besser, mein Pierre, als gedacht«, sagte sie. »Denn weil ich Larissa so sehr liebte, geriet ich manchmal in große Zweifel, ob ich wahrhaftig ich sei und ob Ihr allein mich liebtet, und bei jedem Eurer Blicke auf sie quälte mich die Eifersucht. Jetzt dagegen ist mir, als wäre ich von meinem anderen Ich befreit und wäre endlich die wahre und einzige Angelina.«
    »Aber, wenn Ihr so fühlt«, sagte ich, tief erstaunt über ihre Worte, »wieso tragt Ihr dann am Kinn noch immer den Schönheitsfleck, unter welchem Larissa ihre Warze verbarg? Mir scheint, da Larissa nicht mehr ist, könntet Ihr darauf verzichten, denn es war ihre Tyrannei, die Euch dazu zwang, damit man Euch beide nicht unterscheiden könne.«
    »Weil«, setzte Angelina, plötzlich furchtsam und am ganzen Leibe zitternd, an, »weil sie es will, noch nach ihrem Tod, und weil ich mich nicht getraue, mich ihren Befehlen zu widersetzen. Nein, Pierre, nein, bitte, verlangt das nicht von mir«, fuhr sie fort, indem sie ihre Mouche mit der Hand bedeckte, als |130| wollte sie sie vor meinem Zugriff schützen, »es geht um mein Leben!«
    »Ich denke nicht daran, etwas von Euch zu verlangen, das Euch ängstigen könnte«, sagte ich in der Furcht, sie könnte aufs neue in Schluchzen ausbrechen. »Und obwohl ich wirklich nicht glaube, daß Tote den Lebenden befehlen und ihre Seele rauben können, mögt Ihr den kleinen Fleck getrost behalten, wo er ist.«
    Ein wenig beruhigte sie dies, aber nicht gänzlich, denn im weiteren Verlauf des Tages beobachtete ich, wie sie ängstlich um sich spähte, so als fühle sie ein unsichtbares Wesen in ihrer Nähe. Und, wahrhaftig, dieselben Blicke voll äußersten Mißtrauens warf sie auch auf ihre Umgebung, auf Florine, Miroul, unser Gesinde, doch insbesondere auf mich. Sagte ich unglücklicherweise ein etwas scharfes Wort, schwamm sie sogleich in Tränen und warf sich verzweifelt nieder, und ich konnte sie diesem Zustand nur durch endlose Beteuerungen und Liebkosungen entreißen, die bei ihr, wie gehabt, in eine Unersättlichkeit mündeten, die mich sprachlos machte. Denn wie sollte ich begreifen, daß ein paar Monate Abwesenheit das ruhige und züchtige Wesen meiner Angelina so verändert hatten? Die ganze Zeit indessen erwähnte sie Larissa nicht mehr, und von Giacomi, ihrem Schwager, dem sie zu seinen Lebzeiten doch innig zugetan war, sprach sie nicht das leiseste Wort. Schlimmer noch, wenn ich beider Namen zufällig nannte, schlug sie rasch die großen Rehaugen nieder, verstummte und verharrte wie taub, mit zusammengepreßten Lippen, als gebe sie acht, auch nicht die kleinste Erinnerung in sich zuzulassen, die diese Namen beschwor.
    Ich besuchte meinen schönen Bruder Samson und Gertrude in ihrem Apothekerhaus zu Montfort l’Amaury und fand sie in einem Glück, um das ich sie nur beneiden konnte angesichts des unerklärlichen Unbehagens, in dem ich seit meiner Heimkehr nach Chêne Rogneux lebte. Wie frei und froh sie mich empfingen! Und auch Zara, Gertrudes Gesellschafterin, strahlte wie stets in unanfechtbarer Schönheit. Und weil sie das Kindlein, das sie Silvio abgenötigt hatte, ständig auf den Armen trug, glich sie mehr denn je einem italienischen Madonnenbild und schien mir nach wie vor zu nichts anderem als zur Dekoration des Hauses zu dienen, denn ich sah sie während unserer |131| ganzen gemeinsamen Mahlzeit keinen Becher, keinen Napf, keine Flasche anrühren. Zara saß nur, ihr Bambino im Arm, im vollen Glanz ihrer Mutterschaft zur Rechten Gertrudes und schien im Hauswesen meines Bruders kein anderes Amt zu haben, als sich und ihr Kind mit entzücktem Lächeln bewundern zu lassen.
    Doch so warmherzig Gertrude und mein Bruder mich auch empfingen, ließen sie mit ihrem Besuch bei uns doch lange auf sich warten, und noch weniger mochten sie über Angelina sprechen, in dem Punkt blieben sie, abgesehen von den üblichen

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