Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Paris ist eine Messe wert

Paris ist eine Messe wert

Titel: Paris ist eine Messe wert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merle Robert
Vom Netzwerk:
Mäuler zu laben. In Anbetracht der morgendlichen Stunde machte ich mich auf eine lange Wartezeit gefaßt, denn ich nahm an, daß Angelina sich einer so zahlreichen Gesellschaft nicht zeigen würde, ohne von Kopf bis Fuß angekleidet zu sein. Wie staunte ich aber, als sie durch die angelehnte Tür von der Wendeltreppe in losen Nachtgewändern, mit offenen, über die bloßen Schultern herabfließenden Haaren hereingestürzt kam. Ziemlich verdutzt, daß sie sich in solchem Aufzug nicht nur vor unserem Gesinde zeigte, nein, auch vor ganz Fremden, zumal ich ihre eingefleischte Schamhaftigkeit besser als jeder andere kannte, redete ich mir ein, es könne hieran nur ihre Eile, mich zu sehen, schuld sein, und trat ihr lächelnd, mit ausgestreckten Händen entgegen, um die ihren zu ergreifen. Sie aber beachtete es nicht, sondern fiel mir laut aufseufzend in die Arme, umschlang mich und küßte meinen Mund, daß mir der Atem wegblieb. Was mich in unserem Zimmer, im Kokon unserer Liebe, sicherlich hochbeglückt hätte, was aber, da wir mitnichten allein waren, eine ganz gegenteilige Wirkung hatte. Ich faßte es nicht, daß meine Angelina sich vor aller Augen derart anstößig ihren Gefühlen hingab und es an der keuschen Züchtigkeit fehlen ließ, die ich doch seit je an ihr gekannt hatte, und das auch noch zu einer Zeit, in der ihr Sinn weniger von irdischen Leidenschaften hätte erfüllt sein müssen als vielmehr von den aufeinanderfolgenden Trauerfällen.
    |128| »Angelina, was ist?« raunte ich ihr ins Ohr, »Eure Kühnheit befremdet mich! Bitte, zieht Euch in Euer Gemach zurück und erscheint erst wieder, wenn Ihr angekleidet seid.«
    So freundlich und leise ich auch gesprochen hatte – sie errötete über und über, stammelte etwas, fiel endlich tief ins Knie vor mir und lief davon, ohne sich umzuwenden, und diese ihre Verwirrung machte mich nicht minder baff wie ihr Auftritt vorher. Denn so sanftmütig ich meine Angelina auch stets kannte, hätte sie einen Vorwurf aus meinem Mund doch niemals hingenommen, ohne ein wenig zu widersprechen und sich zu rechtfertigen.
    Nachdenklich kehrte ich zurück an den Tisch und teilte, gemäß dem biblisch schlichten Brauch von Mespech, die Mahlzeit meiner Leute. Zu meiner Verwunderung verging aber eine reichliche Stunde, ohne daß Angelina wiederkam. Beunruhigt, schickte ich Florine zu ihr und mußte kurz darauf hören, daß sie sich in ihrem Bett die Augen ausweine. Ich begriff nicht, wie ein so kleiner Tadel sie dermaßen gekränkt haben konnte, stieg die Wendeltreppe hinauf, und wirklich, kaum hatte ich die Tür hinter mir verriegelt, als ich das völlig ungewohnte Schauspiel erblicken mußte, wie die Törin, noch immer im Nachtkleid, unter heißem Schluchzen sich auf ihrem Lager wälzte und verzweiflungsvoll die blonden Haare raufte.
    »Meine Angelina«, sagte ich, indem ich sie mit meinem Leib bedeckte und ihre Handgelenke festhielt, damit sie sich nicht noch mehr zerraufe, »was ist das für eine Narretei? Wie können Euch ein paar kleine Worte so fürchterlich bekümmern?«
    »Ach, Monsieur«, brachte sie unter krampfhaftem Weinen hervor, »ich sehe doch, daß Ihr mich nicht mehr liebt! Ihr habt auf Euren Kriegszügen ein frisches, junges Blut gefunden, und jetzt verstoßt Ihr mich: Bei der ersten Umarmung werde ich gerügt! Ich muß Euch aus den Augen gehen! Ach, Ihr fühlt nichts mehr für mich!«
    »Aber, Angelina«, sagte ich, fassungslos über ihre Unvernunft, »was soll die Torheit! Ich habe nur Euren Aufzug und Euer Betragen getadelt, nicht aber Eure Liebe, wenn es mich auch unziemlich dünkte, sie so öffentlich zu bekunden, noch dazu, wo wir Trauer haben.«
    »Ha, wie boshaft, Monsieur«, sagte sie und wand sich unter mir wie eine Schlange, »daß ihr mich gerade in dem Moment |129| daran erinnern müßt, da ich meine Trauer in der Freude, Euch wiederzusehen, zu vergessen suchte! Ist Euch die Liebe einer Gattin nichts? Und ihr Verlangen, nachdem sie all die lange Zeit sich schrecklich nach Euch sehnte, Euch schreiend herbeirief in einsamen Nächten?«
    Diese bei meiner Angelina so neue Sprache hätte mich durch ihr Ungestüm starr gemacht, wäre ich bei klarem Verstand gewesen. Doch mein Körper gehorchte ihrem gleichzeitigen lasziven Werben, und wenngleich voller Abwehr und Unbehagen vor soviel ungewohnter Heftigkeit, gab ich ihm nach in der Hoffnung, daß sie zur Vernunft käme, wenn ihre Wollust befriedigt wäre.
    Nachdem dieser Aufruhr gestillt war, der wegen

Weitere Kostenlose Bücher