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Paris ist eine Messe wert

Paris ist eine Messe wert

Titel: Paris ist eine Messe wert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merle Robert
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verwundete |144| Bein nachschleifte, doch sobald ihn, wie ich ein paarmal beobachtete, sein Temperament mitriß, vergaß er die Humpelei. Es dauerte nicht lange, und er erriet, daß mich etwas niederdrückte, und an einem Novemberabend, am Feuer in seiner Bibliothek, brachte er mich dazu, ihm meine Geschichte zu erzählen.
    »Pierre«, sagte er dann, »Ihr habt recht getan, Eure Zweifel zu verschweigen, sogar am Ende gegenüber Fogacer, denn wer weiß, was an Gefahren, Unehre, an Sünde womöglich sich enthüllt hätte, wäre die Sache ruchbar geworden. Aber wie steht es mit den Kindern? Ist Angelina auch gegen sie verwandelt?«
    »Nein, Gott sei Dank, Herr Vater, ist sie ihnen eine ebenso gute Mutter wie immer. Was trotzdem nur ein schwacher Beweis ist. Wie Ihr wißt, war Larissa vernarrt in ihre Nichten und Neffen, weil sie selbst keine Kinder hatte und haben konnte.«
    Worauf mein Vater eine Weile schwieg.
    »Wie Ihr die Dinge darstellt, Pierre«, fuhr er schließlich mit belegter Stimme fort, »läßt sich nicht klar erkennen, welche der beiden Schwestern Ihr nun am Leben glaubt. Bald scheint Ihr sie für die eine zu halten, bald für die andere.«
    »Ach, Vater!« sagte ich – fast zitterte mir die Stimme –, »fragt mich nicht, was ich glaube, sondern eher, was ich glauben will, denn wie soll ich vernünftig entscheiden, wo es keine Beweise gibt?«
    »Und wie ist Euer willentlicher Glauben?«
    »Ich kann und will mich nicht damit abfinden«, sagte ich, einen Knoten in der Kehle, »daß ich Angelina für immer verloren haben soll. Deshalb versuche ich mir einzureden, daß sie diejenige der beiden ist, die lebt und die der Tod ihrer Zwillingsschwester derart aus dem Geleise geworfen hat, daß sie sie in allem nachahmt, damit sie in ihr weiterlebe.«
    »Eine ausgefallene Idee!«
    »Wer weiß? Als Kind ließ Angelina sich oft widerspruchslos für etwas bestrafen, was Larissa verschuldet hatte, und als ich sie einmal fragte, warum sie solche Ungerechtigkeit ertragen habe, antwortete sie, daß sie manchmal nicht mehr gewußt habe, ob sie nicht doch für eigenes Verschulden büßte.«
    »Ihr meint also«, sagte mein Vater, »daß Angelina eines Tages aufhören wird, Larissa nachzuahmen? Pierre, wenn diese |145| Vorstellung Euch tröstet, dann haltet nur recht daran fest.
Sit caeca futuri mens hominum fati: liceat sperare timenti.
« 1
    Anfang Dezember, wenn ich mich richtig entsinne, kräftigte sich mein rechter Arm und wurde geschmeidiger – jedenfalls fand Saint-Ange, daß ich schon viel besser focht. Um diese Zeit auch traf ich eines Morgens nach dem Frühstück in meinem Zimmer eine Magd an, die ich nicht kannte und die mein Bett machte.
    Ich fragte, wer sie sei, und sie sagte, mein Herr Vater habe sie gestern gedingt. Ihre Eltern hätten eine halbe Meile von Marcuays einen schönen Hof.
    »Soso, soso«, sagte ich auf okzitanisch und sah sie mit Augen an, die sich gar nicht lösen konnten von der schmucken Gestalt, auch wenn sie mir nur bis unter die Achsel reichte. Trotzdem war diese Winzigkeit ebenso zierlich wie wohlgerundet, mit blanken schwarzen Augen, süßem Mund und einer kecken Nase.
    »Das hat er gut gemacht«, sagte ich. »Und wem unterstehst du hier?«
    »Eurer Amme, der guten Frau Barberine.«
    »Und was ist deine Aufgabe?«
    »Ich soll Euer Bett machen, Moussu lou Baron.«
    »Kannst du es auch mit mir auseinander machen?«
    »Ich versteh Euch nicht, Moussu«, sagte sie, aber mit einer Miene, daß sie sehr wohl verstand, und indem ihr kleiner Körper sich vom Kopf bis zu den Zehenspitzen wand.
    »Wie heißt du, Kindchen?«
    »Babille.«
    »Babille? Ist das dein richtiger Name oder ein Spitzname?«
    »Getauft bin ich auf Marie. Aber zu Hause nennen sie mich Babille.«
    »Weil deine Zunge so plapprig ist?«
    »Vielleicht, Moussu.«
    »Für eine Plapperzunge ist das aber knapp geantwortet. Zeig sie mal!«
    »Aber, Moussu!«
    »Was heißt ›Aber, Moussu‹? Weißt du nicht, daß ich Doktor |146| der Medizin bin? Und daß du mir wenigstens deine Zunge zeigen mußt, wenn du hier mein Bett machst? Also gehorche, Babille!«
    »Da, Moussu.«
    »Die Augen zu, bitte.«
    Worauf sie abermals gehorchte, so daß es schon eine Lust war, diese kleine rosa Zunge zu sehen, erst recht aber, sie zwischen meinen Lippen zu fühlen.
    »Ha, Moussu!« sagte sie, indem sie die Augen öffnete und zurückwich, doch nicht so heftig, wie es die Züchtigkeit erfordert hätte, woraus ich ersah, daß ich getrost hätte weitergehen

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