Paris ist eine Messe wert
Jungfrau! da heißt es nur, man soll lieber für die Religion sterben, als sich dem Ketzer ergeben. Ich frag dich, was nützt unsereinem der schönste Glaube der Welt, wenn wir alle verhungern? Aber, sag bloß nichts dagegen. Wer’s Maul aufmacht, wird erschlagen. Erst gestern haben sie zwei Kaufleute, die ich dir nennen könnte, im Sack in die Seine geworfen, weil sie gesagt hatten, man solle mit Navarra Frieden schließen, in diesen Kriegswirren stirbt doch der ganze Handel!«
»Und du, Alizon«, fragte ich, »wie kommst du zurecht?«
»Heute schlecht, aber morgen noch schlechter!« sagte sie verdrossen. »Wenn Navarra uns belagert, wer kauft dann meine |193| Hauben und Baskinen? Ha, Pierre, wie gern würd ich die Haustür zusperren wie Monsieur de Férot und in mein Landhaus gehen, aber ich bring es nicht fertig, meine Arbeiterinnen zu entlassen, die verhungern mir doch, noch eh’ die Belagerung beginnt! Ich habe nicht vergessen, wie es mir selbst erging, als ich für den Geizkragen Recroche schuften mußte.«
Hier wandte sie sich errötend ab, denn damals, als der Lohn hinten und vorn nicht reichte, den der Putzmachermeister Recroche ihr für das Sticheln von früh bis spät zahlte, verkaufte sie sich zur Nacht im Badehaus, um sich mit ihrem Kindchen durchzubringen.
»Warst du wenigstens so gescheit, Alizon«, fragte ich, um sie von der bitteren Erinnerung abzulenken, »dich für die Belagerungszeit mit Vorräten einzudecken?«
»Doch, doch«, sagte sie, »ich habe genug im Haus, um einen Monat durchzuhalten.«
»Einen Monat, Alizon!« erwiderte ich. »Bedenke doch, daß Mayenne den König nicht zwingen kann …«
»Den König!« rief Alizon erschrocken und hielt mir ihre feine Hand vor den Mund. »Daß du Navarra in Paris, um Himmels Willen, nicht so nennst! Die reißen dich sofort in Stücke! Der König ist in Paris sein Onkel, Kardinal von Bourbon, den Navarra gefangenhält. Karl X. heißt der alte Trottel bei den Ligisten, und in seinem Namen regiert Nemours die Stadt und befiehlt d’Aumale den Parisern unter Waffen.«
»Gut, ich merke es mir«, sagte ich. »Aber, bedenke, Alizon: Mayenne kann sich Hilfe gegen Navarra nur vom spanischen Heer des Herzogs von Parma erwarten, das in Flandern gegen die Geusen kämpft, und der Herzog von Parma wird nicht den kleinen Finger rühren, wenn Philipp es nicht befiehlt. Bis aber Mayenne bei Philipp II. um Hilfe ersucht hat und der sie endlich in Gang setzt, vergehen mindestens zwei Monate.«
»Zwei Monate!« sagte Alizon erschrocken.
»Mindestens!«
»Zwei Monate!« rief sie und starrte mich entsetzt aus großen Augen an. »Zwei Monate Belagerung! Das überleb ich nicht!«
Am folgenden Tag schickte ich Miroul – eine Brille mit blauem Glas vorm braunen Auge auf der Nase – durch die Straßen und Gassen, damit er für mich alle Neuigkeiten sammele, ein Auftrag, der ihn begeisterte, war er doch der größte |194| Bummler unter Gottes Himmel. Doch außer daß ich mir hiervon ein Bild des Pariser Geisteszustands erwartete, war der hauptsächliche Grund, daß ich Pierre de L’Etoile in der Rue Trouvevache allein in Begleitung von Pissebœuf besuchen wollte, der noch nie in der Hauptstadt war und also nicht erkannt werden konnte. Derweil sollte Poussevent auf dem Markt einkaufen gehen, denn was wir im Haus hatten, reichte nicht weit für vier Mäuler.
Obwohl ich Pierre de L’Etoile lange nicht gesehen hatte, fand ich ihn wenig verändert in seinem schönen Haus, nur ein bißchen grauer geworden, aber trotz der galligen Miene, welche die lange Nase, die dicke Unterlippe und die tiefen Mundfalten ihm verliehen, dieselbe Güte in den lebhaften, blitzenden Augen. Da ich mich seinem Diener als Tuchhändler vorgestellt hatte, der den Herrn Großauditor konsultieren wolle, war er ganz überrascht, als ich ihm gegenübertrat und meinen Namen nannte.
»Ha, Baron!« rief er, und ein freundschaftliches Lächeln erhellte sein Gesicht, »hättet Ihr es nicht gesagt, ich hätte Euch nicht erkannt, so perfekt ist Eure Maske, und wenn ich Euch jetzt erkenne, so nur an Eurer fröhlichen und warmherzigen Stimme. Aber, seid Ihr nicht bei Troste, daß Ihr Euch in dieses Paris getraut, wo alles, was die Liga an Wüterichen zählt, Euch haßt wegen der guten Dienste, die Ihr dem seligen König geleistet habt und die Ihr jetzt dem leistet, den sie nicht anerkennt?«
»Bah«, sagte ich, »wo bliebe die Würze des Lebens, wenn wir es nicht für eine gute Sache wagten?«
»Und
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