Parker Pyne ermittelt
»Oh, wirklich?«
»Natürlich. Erzählen Sie mir jetzt die ganze Geschichte.«
»Nun, es fing damit an, dass ich kein Geld mehr hatte. Wissen Sie, ich gebe für mein Leben gern Geld aus. Und Gerald regt das immer so fürchterlich auf. Er ist viel älter als ich, und er hat diese – nun, diese strengen Ansichten. Er hält Schulden für ein Werk des Teufels. Also habe ich es ihm nicht erzählt. Und dann bin ich mit ein paar Freunden nach Le Touquet gefahren und dachte, vielleicht habe ich ja beim Baccara Glück und kann alles wieder in Ordnung bringen. Ich habe auch gewonnen – zuerst zumindest, und dann habe ich verloren, und dann dachte ich, ich muss weitermachen. Und es ging immer weiter. Und – und – «
»Ja, ja«, sagte Mr Parker Pyne. »Sie brauchen nicht auf Einzelheiten einzugehen. Ihre Lage wurde immer hoffnungsloser. Das stimmt doch, oder?«
Daphne St. John nickte. »Und dann war es schon so weit, dass ich es Gerald einfach nicht mehr erzählen konnte. Denn er hasst Glücksspiel. Oh, ich war wirklich in der Klemme. Nun, wir sind dann zu den Dortheimers in der Nähe von Cobham gefahren. Die sind ja so was von reich. Seine Frau Naomi war mit mir in der Schule. Sie ist hübsch und ein echter Engel. Während wir dort waren, hatte sich die Fassung des Rings gelockert. Als wir dann morgens nach Hause fahren wollten, bat sie mich darum, ihn in die Stadt mitzunehmen und bei ihrem Juwelier in der Bond Street abzugeben.« Sie hielt inne.
»Und jetzt kommen wir zum schwierigen Teil«, kam ihr Mr Pyne entgegen. »Erzählen Sie weiter, Mrs St. John.«
»Sie werden es niemandem erzählen, nicht wahr?«, flehte die junge Dame inständig.
»Das Vertrauen meiner Klienten ist mir heilig. Außerdem haben Sie mir bereits so viel von der Geschichte erzählt, dass ich sie vermutlich selbst zu Ende erzählen könnte.«
»Das stimmt. Na gut. Aber ich hasse es, darüber zu sprechen – es klingt so furchtbar. Ich ging in die Bond Street. Es gibt da noch ein anderes Geschäft – Viros. Sie – machen Edelsteine nach. Plötzlich habe ich die Nerven verloren. Ich nahm den Ring mit und sagte ihnen, ich bräuchte eine genaue Imitation. Ich sagte, dass ich ins Ausland reisen und nicht den echten Stein mitnehmen wolle. Sie hielten es offensichtlich für das Selbstverständlichste auf der Welt.«
»Nun, ich habe die Imitation erhalten – sie war so gut, dass man sie vom Original praktisch nicht unterscheiden konnte – und sie dann per Einschreiben an Lady Dortheimer geschickt. Ich hatte mir eine Schachtel mit dem Namen des Juweliers besorgt, damit es auch echt wirkte, und es dann fachgerecht verpackt. Und dann habe ich – habe ich das Original verpfändet.« Sie vergrub ihr Gesicht in ihren Händen. »Wie konnte ich nur? Wie konnte ich nur? Ich bin nicht mehr als eine schreckliche, ordinäre, kleine Diebin.«
Mr Parker Pyne hustete. »Ich denke, Sie sind mit Ihrer Erzählung noch nicht ganz am Ende.«
»Sie haben recht. Verstehen Sie, das war vor etwa sechs Wochen. Ich habe alle meine Schulden bezahlt und war wieder quitt, aber ich habe mich natürlich die ganze Zeit furchtbar dabei gefühlt. Und dann starb eine alte Cousine von mir, und ich habe ein kleines Vermögen geerbt. Mein erster Impuls war, den verfluchten Ring auszulösen. Nun, das habe ich getan, und hier ist er. Aber etwas Schreckliches ist geschehen.«
»Ja?«
»Wir haben uns mit den Dortheimern zerstritten. Es ging um einige Aktien, die Sir Reuben Gerald empfohlen und die er dann gekauft hatte. Er hat wegen ihnen eine Menge Geld verloren, und dann hat er Sir Reuben mal die Meinung gegeigt – oh je, es ist alles so schrecklich! Und jetzt, verstehen Sie, kann ich den Ring nicht mehr zurückbringen.«
»Könnten Sie ihn Lady Dortheimer nicht anonym zurückschicken?«
»Das würde die ganze Sache auffliegen lassen. Sie würde ihren eigenen Ring untersuchen, erkennen, dass es sich um eine Imitation handelt, und sofort erraten, was ich getan habe.«
»Sie sagten, sie wäre eine Freundin von Ihnen. Wie wäre es denn, wenn Sie ihr reinen Wein einschenken und sich ihrer Gnade auslieferten?«
Mrs St. John schüttelte den Kopf. »So enge Freundinnen sind wir auch wieder nicht. Wenn es um Geld oder Juwelen geht, ist Naomi knallhart. Sie könnte mich vermutlich nicht strafrechtlich verfolgen lassen, wenn ich ihr den Ring zurückgebe, aber sie könnte allen erzählen, was ich getan habe, und dann wäre ich ruiniert. Gerald würde es erfahren, und er könnte mir
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