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Parker Pyne ermittelt

Parker Pyne ermittelt

Titel: Parker Pyne ermittelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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anfährt.«
    Die nächsten zehn Minuten schienen Roberts eine Ewigkeit zu dauern. Endlich fuhr der Zug an. Er ging langsam den Flur entlang. Die Frau im Pelzmantel kämpfte mit einem Fenster. Er eilte ihr zu Hilfe.
    »Vielen Dank, Monsieur. Nur ein wenig frische Luft, bevor sie darauf bestehen, dass alles geschlossen ist.« Dann sprach sie leise und schnell. »Nach der Grenze, wenn unser Mitreisender schläft – nicht vorher –, gehen Sie durch den Waschraum in das Abteil auf der anderen Seite. Haben Sie das verstanden?«
    »Ja.« Er ließ das Fenster hinab und sagte laut und deutlich: »Ist es besser so, Madame?«
    »Ich danke Ihnen vielmals.«
    Er kehrte in seine Kabine zurück. Sein Mitreisender hatte sich bereits oben in sein Bett gelegt. Anscheinend konnte er problemlos einschlafen. Er hatte einfach nur die Stiefel und seinen Mantel ausgezogen.
    Roberts dachte über seine eigene Kleidung nach. Er konnte sich schlecht ausziehen, wenn er gleich ein Frauenabteil betreten sollte.
    Er entdeckte ein Paar Pantoffeln und zog sie anstelle seiner Stiefel an. Dann legte er sich hin und löschte das Licht. Wenige Minuten später begann der Mann über ihm zu schnarchen.
    Kurz nach zehn erreichten sie die Grenze. Die Tür wurde aufgerissen und eine förmliche Frage gestellt: Hatten die Messieurs etwas zu verzollen? Die Tür wurde wieder geschlossen. Bald darauf verließ der Zug Bellegarde.
    Der Mann im Bett über ihm fing bald wieder zu schnarchen an. Roberts ließ zwanzig Minuten verstreichen, bevor er leise aus seinem Bett glitt und die Tür zum Waschraum öffnete. Er verriegelte die Tür von innen und beäugte die Tür zur anderen Seite. Sie war nicht verriegelt. Er zögerte. Sollte er klopfen?
    Vielleicht wäre es absurd zu klopfen. Aber er wollte nicht ohne zu klopfen hineingehen. Er entschied sich für einen Kompromiss, indem er die Tür sanft einen Spaltbreit öffnete und wartete. Er riskierte sogar ein leichtes Husten.
    Die Antwort folgte prompt. Die Tür wurde geöffnet, er wurde am Arm gepackt und in die andere Kabine gezogen. Die junge Frau schloss die Tür hinter ihm und verriegelte sie.
    Roberts atmete tief durch. Niemals hatte er sich einen so reizenden Anblick auch nur vorstellen können. Sie trug ein langes, luftiges Kleidungsstück aus Spitze und cremefarbenem Chiffon und lehnte keuchend an der Flurtür. Roberts hatte schon oft von wunderschönen, gejagten Kreaturen gelesen, die sich ihren Verfolgern stellten. Jetzt sah er zum ersten Mal eine – ein aufregender Anblick.
    »Gott sei dank!«, flüsterte die Frau.
    Roberts fiel auf, wie jung sie noch war, und ihre Schönheit schien sie in seinen Augen zu einem Wesen aus einer anderen Welt zu machen. Endlich ein Abenteuer – und er war mittendrin!
    Sie sprach leise und hastig. Ihr Englisch war hervorragend, doch die Betonung völlig fremdartig. »Ich bin so froh, dass Sie hier sind«, sagte sie. »Ich habe furchtbare Angst. Wassiliewitsch ist im Zug. Wissen Sie, was das bedeutet?«
    Roberts verstand kein Wort von dem, was sie sagte, nickte aber dennoch.
    »Ich dachte, ich wäre ihn losgeworden. Ich hätte es besser wissen müssen. Was sollen wir nur tun? Wassiliewitsch ist im nächsten Waggon. Was immer auch passiert, er darf die Juwelen nicht bekommen. Selbst wenn er mich umbringt, darf er sie nicht in die Finger kriegen.«
    »Er wird Sie nicht umbringen, und er wird die Juwelen nicht in die Hände bekommen«, sagte Roberts mit Entschiedenheit.
    »Was soll ich denn mit ihnen tun?«
    Roberts blickte an ihr vorbei auf die Tür. »Die Tür ist verriegelt.«
    Die junge Frau lachte. »Was bedeuten Wassiliewitsch schon verschlossene Türen?«
    Roberts überkam immer mehr das Gefühl, mitten in einem seiner Lieblingsromane zu sein. »Es gibt nur eine Möglichkeit. Sie müssen sie mir geben.«
    Sie schaute ihn zweifelnd an. »Sie sind eine Viertelmillion wert.«
    Roberts errötete. »Sie können mir vertrauen.«
    Die junge Frau zögerte einen Augenblick und sagte dann: »Ja, ich werde Ihnen vertrauen.« Sie vollzog eine schnelle Bewegung. Im nächsten Moment hielt sie aufgerollte Strümpfe in der Hand – Strümpfe aus Spinnennetzseide. »Nehmen Sie sie, mein Freund«, sagte sie dem überraschten Roberts.
    Er nahm sie entgegen und verstand sofort. Leicht wie Luft hätten sie sein sollen, waren aber unerwartet schwer.
    »Nehmen Sie sie mit in Ihr Abteil«, sagte sie. »Sie können sie mir morgen wiedergeben – wenn ich dann noch hier bin.«
    Roberts hustete.

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