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Parrish Plessis 01 - Nylon Angel

Parrish Plessis 01 - Nylon Angel

Titel: Parrish Plessis 01 - Nylon Angel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marianne de Pierres
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und zog die Radkappe mit ihren Zehen hinter sich her.
    Als sie zurückkam, schaute sie mich unsicher an. Ihre Augen waren angeschwollen. Sie erinnerte mich an Doll.
    »Wo kommst du her, Lady? Ich habe dich noch nie zuvor in Rosa gesehen.«
    »Rosa?«
    »Villas Rosa.«
    Villas Rosa. Die Slums des Slag-Viertels. Die Slums der Slums. Ich drohte, hysterisch zu werden. Meine Stimme überschlug sich, bis ich mich langsam beruhigte. »Ich komme aus Torley im Norden. Ich beschütze jemanden. Einen Typen mit roten Haaren. Irgendetwas… ist passiert. Er ist nicht weit weg, zwei oder drei Klicks. Ich muss ihn finden. Jetzt!«
    Mit einem Mal verschwand die Unsicherheit aus dem Gesicht des Mädchens. »Du bist es«, flüsterte sie aufgeregt. »Du musst es einfach sein.«
    »Was meinst du damit?«, fragte ich. »Wer bin ich?«
    Merkwürdig, einem Mädchen ohne Arme eine solche Frage im Herzen der Slums zu stellen.
    Doch die geschwollenen Augen in ihrem schmutzigen Gesicht strahlten vollkommene Gewissheit aus.
    Glück für sie… Wer konnte heute noch von sich sagen, etwas mit Sicherheit zu wissen?
    »Die Medien jagen euch. Und der Verhör-Mecha. Sie bringen es ständig auf dem Öffentlichen Netz.« Sie schaute zu einem kleinen, abgenutzten Empfangsgerät hinüber.
    Auf dem Öffentlichen Netz konnte jeder etwas übertragen. Es war wie CB-Funk mit Bild. Alles, was man dazu brauchte, waren die richtige Ausrüstung, etwas Sonnenlicht und die korrekte Frequenz.
    »Die Muenos reden und reden.« Mit ihren Füßen machte sie einen Mund nach, der sich öffnete und schloss. »Ich höre ihnen zu. Die Muenos sagen, dass die, die die Federkrone trägt, sie erlösen wird. Sie singen nun für dich.«
    Die die Federkrone trägt? Ups. Der Geschmack von Blut verstärkte sich wieder in meinem Mund.
    Ich gab mir einen Ruck. Es war an der Zeit, weiterzudenken. Das, was eben geschehen war, die Männer, die ich zusammengeschlagen hatte, musste ich vergessen. Ich fühlte mich mitgenommen, hatte aber kein schlechtes Gewissen. »Hast du einen Namen?«
    Das Mädchen schüttelte den Kopf. Sie suchte meinen Blick. Ihre Augen waren grau und wirkten in dem kleinen, zierlichen Gesicht übergroß, das von dunkelbraunen Haaren eingerahmt wurde. Sie konnte kaum älter als elf sein.
    Ich versuchte es erneut. »Wie nennst du dich?«
    »Niemand spricht mich. Niemand nennt mich.«
    Niemand spricht mich?
    Vielleicht war mein Gedanke typisch für eine Frau, aber in einer Welt zu leben, in der niemand mit einem redete… Ich konnte es mir nicht vorstellen. »Nun ja, ich spreche jetzt mit dir. Ich heiße Parrish. Wie wäre es, wenn ich dich… Bras nennen würde.«
    Der Gesichtsausdruck des Mädchens verwandelte sich, und sie setzte einen Blick auf, den ich erst vor kurzem gesehen hatte und hasste: Vertrauen.
    Ich unterdrückte ein Stöhnen. Sto war bereits ein Problem zu viel. So sehr mein Herz auch beim Anblick dieses Kindes blutete – was konnte ich schon für sie tun? Wie viele Kinder gab es im Slag, denen es genauso ging wie ihr?
    »Bras weiß, wo du Rothaarigen findest. Bras hilft dir.« Es bereitete ihr offensichtlich Vergnügen, den Namen zu benutzen, den ich ihr gegeben hatte.
    Ich streckte die Hand aus und berührte sanft ihre zarte Schulter. Der Stoff ihrer Kleidung war steif vor Dreck; die unnützen Ärmel hatte sie schon vor langem abgerissen. »Ich weiß deine Hilfe zu schätzen, Bras, aber es ist zu gefährlich mit mir.«
    Schmollend verzog Bras den Mund. »Bras gehört jetzt dir. Erst essen. Dann Rotschopf finden.«
    Sie wühlte in einer Ecke der Hütte unter einem Stapel Müll herum und kramte einen halbgegessenen Brocken hervor, der vielleicht einmal ein Ersatzstoff-Riegel gewesen war. Fast feierlich hielt sie ihn mir mit ihrem Fuß vor die Nase. »Du zuerst.«
    Mir wurde bewusst, dass ich seit meiner Begegnung mit Io Lang früher am Tag nichts mehr getrunken oder gegessen hatte; doch der Riegel regte auch nicht gerade meinen Appetit an – ebenso wenig wie der Anblick von Bras’ Rippen, die durch den dünnen Stoff ihrer Lumpen zu erkennen waren. »Ich möchte, dass du das isst. Danach zeigst du mir, wo ich Sto finde. Ich gebe dir Geld dafür.« Ich tastete nach dem Rest meines Geldes.
    Bras lutschte an einer Ecke des Riegels, bevor sie einen kleinen Bissen aß. Diese Prozedur wiederholte sie noch zwei Mal, und jedes Mal weichte sie den Riegel zuerst mit ihrem Speichel auf, bevor sie hineinbiss. Danach ließ sie den Rest in einer Tasche verschwinden.

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