Parrish Plessis 02 - Code Noir
das Leben ist viel komplizierter, Parrish. Die Wahrheit ist: Ich kann es dir nicht erklären. Das Band, das mich mit den Cabal verbindet mag an einigen Stellen beschädigt, ja, gar zerrissen sein. Doch die Cabal sind eine verschworene Gemeinschaft, eine Familie. Man kann nicht an einem Tag dazugehören und am nächsten ausgestoßen werden.«
Er gab zumindest zu, dass er mit ihnen in Verbindung stand – was mich natürlich nicht weiter brachte. »Aber die Cabal wollen, dass ich dich…« Ich schloss mein verräterisches Mundwerk.
»Dass du mich tötest?«, vollendete Daac den Satz. »Nein, ich glaube nicht, dass sie das wirklich wollen. Sie haben es wahrscheinlich nur deinetwegen gesagt.«
Nun ja, das klang durchaus plausibel… Ein undurchdringbarer Nebel umgab meine Gedanken. Was konnte ich noch glauben? Wie viele Lügen hatte man mir aufgetischt? Wenn ich Freund und Feind nicht mehr voneinander unterscheiden konnte, wem durfte ich dann überhaupt noch trauen? Und wie stand es um die Wahrheit? Sie war offenbar ein Ideal, dem sich außer mir kein anderer verpflichtet fühlte.
»Die Cabal wussten von den Experimenten, die ich mit Anna betrieben habe«, fuhr Loyl fort, »und sie waren sich darüber im Klaren, dass Lang die Ergebnisse gestohlen hat. Als die Karadji spurlos verschwunden sind, wussten sie, dass beides miteinander in Verbindung stehen musste.«
»Und was hat es mit der King Tide auf sich?«
Loyl betrachtete nachdenklich den aufgehenden Vollmond. »Da bin ich mir nicht so sicher. Mit der Zeit haben sich so viele seltsame und größtenteils falsche Legenden aufgebaut. Was auch immer bei Vollmond geschehen wird, die Invasion der Cabal findet heute Nacht statt. Wir müssen hier verschwinden. Ich möchte, dass du Anna und die Forschungsergebnisse in Sicherheit bringst. Hilfst du mir?«
Half ich ihm? Natürlich wollte auch ich die Daten in Sicherheit bringen, so viel stand fest; aber ich hatte den Cabal auch versprochen, die Karadji bis zur King Tide zurückzubringen, und dazu blieben mir nur noch wenige Stunden. Doch angesichts der bevorstehenden Invasion gab es ja vielleicht doch noch eine Möglichkeit, meinen Auftrag zu erfüllen.
Andererseits: War ich überhaupt noch auf diesen Handel angewiesen? Es wäre viel einfacher, mich auf Daacs Seite zu schlagen. Schließlich hatte er, wonach ich suchte.
Außerdem musste ich auch an die anderen Schamanen denken – ohne meine Hilfe würden sie es niemals bis nach Torley schaffen.
Ich hatte ernsthafte Gewissensbisse.
»Ich weiß nicht, was ich tun soll«, antwortete ich daher wahrheitsgemäß.
Daac hatte bisher die Arme hinter dem Rücken verschränkt gehalten. Nun streckte er einen nach vorne. Er hielt den Cabal-Dolch in der Hand. »Hilft dir das, eine Entscheidung zu treffen?«
»Gib mir den Dolch.«
Er zog ihn wieder zurück. »Das ist ein heiliger Dolch. Woher hast du ihn?«
»Was glaubst du denn wohl?«, schnappte ich bissig.
Sein Gebaren brachte mich nun wirklich in Rage. Vielleicht sollte ich ihn gleich hier und jetzt kalt machen; dann hätte ich auch den unangenehmen Teil meiner Abmachung mit den Cabal erledigt. Doch leider brauchte ich noch seine Hilfe, wenn ich ohne weitere Probleme aus Mo-Vay verschwinden wollte.
»Ich bin einen Deal mit den Cabal eingegangen«, sagte ich schließlich. »Sie haben mir den Dolch gegeben.«
»Sie haben dir den Dolch gegeben?«, wiederholte Loyl fassungslos.
»Überrascht?«
Er hob eine Augenbraue. »Ich dachte, du hättest ihn gestohlen. Warum hast du dich mit diesen Leuten eingelassen, Parrish? Schuldest du ihnen etwas?«
»Das solltest du am besten wissen.« Ich schaute auf meine schmutzigen Stiefel, meine zerrissenen Kleider und die Schrammen und Blessuren auf meinen Armen hinab. Dann blickte ich ihm in die Augen. »So wie es aussieht, verdanke ich ihnen mein Leben, und für gewöhnlich begleiche ich meine Schulden. Aber was geht dich das eigentlich an?«
Daac hielt einen Moment inne, dann sagte er: »Ich kümmere mich um meine Leute.«
Meine Leute. Ich glaubte, mein Herz würde stehen bleiben. Daac zählte mich zu seinen Leuten. Unglaublich!
Ich trat einen Schritt auf ihn zu, sodass sich unsere Gesichter beinahe berührten.
»Loyl, mein Lieber. Mir scheint, zwischen uns beiden gibt es ein handfestes Problem.«
»Vielleicht. Aber da ist noch viel mehr zwischen uns beiden, Parrish.«
KAPITEL VIERZEHN
Das Quad stand noch dort, wo ich es zurückgelassen hatte. Gemeinsam mit Daac fuhr
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