Partials 1 – Aufbruch
dem noch die Staubwolke waberte.
»Tod, sei nicht stolz«, begann Marcus. »Bist gar nicht mächtig
stark, wie mancher spricht.« Er hielt inne und dachte nach. »Ich bringe alles
durcheinander. Du Sklav’ des Fürsten, des Verzagten Knecht, der falsch durch
Gift, durch Krieg und Krankheit siegt … wie prahlst du schlecht! Nach kurzem
Schlaf erwachen wir zur Ruh – und mit dem Tod ist’s aus: Tod, dann stirbst du.«
Jayden warf Marcus einen Blick zu. »Glaubst du, sie wachen wieder
auf? Einfach so?«
»Es ist doch nur ein altes Gedicht«, wehrte Marcus ab.
»Wo sie auch aufwachen«, meinte Jayden, »dort dürfte es ziemlich
voll sein.« Er wandte sich um und kehrte zum Wagen zurück.
Kira hielt Marcus’ Hand und sah zu, wie sich der Staub langsam auf
die Ziegelsteine senkte.
Der Regen sammelte sich in den Spuren der dicken Gummireifen zu
Pfützen. Kira zog die Kapuze über den Kopf, um die Tropfen abzuhalten, doch der
Schauer wurde stärker, bis sie das Gefühl hatte, der Regen prasselte von allen
Seiten auf sie herab und spränge sogar aus den Pfützen herauf, um durch jede
Naht in der Kleidung einzudringen.
Jayden blieb wieder einmal stehen und wies die anderen mit erhobener
Faust an, seinem Beispiel zu folgen. Die Reifenspuren kamen nicht aus der
Richtung von Asharoken, wo die Bombe explodiert war, aber hier draußen in der
Wildnis drohten alle möglichen Gefahren. Dieser Teil der Insel war früher
wohlhabender gewesen als viele andere. Statt eng gedrängter Häuser und
überwucherter Wiesen gab es hier einen dichten, tropfnassen Wald, in dem
gelegentlich eine einzeln stehende Villa zu erkennen war. Kira legte den Kopf
schief und lauschte, weil sie hoffte, etwas von den kaum vernehmlichen
Geräuschen aufzufangen, die Jayden anscheinend trotz des Regengusses wahrnahm.
Marcus tat das Gleiche. Sie hörte den Regen, das Platschen, das Schmatzen des
Schlamms, als jemand auf der Straße sein Gewicht verlagerte. Jayden nahm die
Faust herunter und deutete nach vorn. Sie gingen weiter.
»Ich glaube, er tut nur so«, flüsterte Marcus. »Es gefällt ihm, die
Faust zu heben und zu sehen, wie wir ihm alle gehorchen.«
»So nass war ich noch nie im Leben«, stöhnte Kira. »Ich schwöre,
dass ich selbst in der Badewanne trockener bin als hier.«
»Sieh’s mal von der positiven Seite«, antwortete Marcus.
Kira wartete.
»Dies ist der Augenblick, in dem man traditionellerweise erklärt,
wie die positive Seite aussieht«, drängte sie ihn schließlich.
»Ich hab’s nicht so mit Traditionen«, gab Marcus zu. »Außerdem
behaupte ich ja nicht, dass ich die positive Seite kenne. Ich glaube nur, dies
wäre ein schöner Augenblick, um sie genauer zu betrachten.«
Jayden hob die Faust, und sie blieben wieder stehen.
»Jayden hat gerade eine positive Seite gehört«, erklärte Marcus flüsternd.
»Da schleicht eine Metapher durchs Gebüsch, die unsere Stimmung deutlich heben
kann.«
Kira schnaubte, worauf Jayden sich umwandte und sie böse anstarrte.
Dann sah er wieder noch vorn, deutete zum Straßenrand und näherte sich einer
Lücke zwischen den Bäumen.
Kira folgte ihm überrascht. Sogar sie erkannte, dass die Spur
schnurgerade an den Schösslingen auf der zerstörten Straße vorbei verlief. Die
Bäume zu beiden Seiten waren dunkel und unheildrohend. Was hatte Jayden dort
gehört?
Vorsichtig schlichen sie durch eine schmale Öffnung, die früher eine
Zufahrt gewesen war. Der Boden zeigte Risse, und Unkraut wucherte schon seit
Jahrzehnten. Vor ihnen stand ein großes Haus, das fast so schwarz war wie die
Nacht ringsum. Marcus schlich auf Kira zu und ging gebückt neben ihr her. Sie
beugte sich vor, um ihn etwas zu fragen, dann blieb sie unvermittelt stehen.
Hinter einem Fenster hatte sie ein orangefarbenes Licht entdeckt. Es war ein
winziges Glühen, das sofort wieder verschwand. Feuer. Sie blieb wie angewurzelt
stehen, zupfte Marcus am Ärmel und zog ihn an sich.
»Da drinnen ist jemand.«
Kira packte ihr Gewehr fester und hoffte, das es trotz der Nässe
noch funktionierte. Auch wenn sie von schwer bewaffneten Soldaten umgeben war,
fühlte sie sich schutzlos. Vorsichtig duckte sie sich und zog Marcus mit
hinunter. Jayden blieb abrupt stehen und legte das Gewehr an. In diesem Moment
rief jemand etwas von dem dunklen Haus herüber.
»Das ist nahe genug!«
Die Stimme war dünn und heiser, ein Gespenst in der Finsternis. Der
Regen trommelte auf Kiras Kapuze und ihren Rücken. Sie suchte die Sicherung
ihrer
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