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Partitur des Todes

Partitur des Todes

Titel: Partitur des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Seghers
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war es, als habe er die Wahrheit immer gewusst.
    «Und was ist aus Ihrem Vater geworden?», fragte er.
    «Zwei Jahre lang hat mein Vaterkein einziges Wort gesagt. Er war stumm wie ein Fisch. Dann hat er geredet, geredet, geredet.Anschließend ist er wieder in sein Schweigen verfallen.»
    «Er lebt nicht mehr?»
    «Nein.Meine Eltern sind 1960 bei einemAutounfall ums Leben gekommen. Wir waren auf dem Weg in die Bretagne, als ein Wagen mit Urlaubern uns die Vorfahrt genommen hat. Seitdem», sagte sie und tippte mitbeiden Händen auf dieArmlehnen ihres Rollstuhls, «brauche ich dieses Ding hier.»
    Monsieur Hofmann starrte auf das braune Päckchen. Er merkte, dass seine Hände zitterten. Er las seinen Namen, der mit brauner Tinte auf die Vorderseite geschrieben war. Dann drehte er den Umschlag um. Dort stand in der gleichen Schrift:Arthur Hofmann,Auschwitz.
    Valerie kramte in ihrer Handtasche, dann hielt sie ihm ein kleines Taschenmesser hin. Er schaute sie an, dann schüttelte er den Kopf. «Nein», sagte er. «Bitte machen Sie das! »
    Valeriewartete, bis die Kamera neu eingerichtet war, dann nahm sie den Umschlag, legte ihn auf den Tisch und schlitzte ihn mit einer raschen Bewegung auf.Kurz darauf hielt sie ein dickes, in Wachspapier eingeschlagenes Bündel in der Hand, das sie an Monsieur Hofmann weitergab.
    Der alte Mann war nervös. Vorsichtig, als könne eine Gefahr von dem noch immer unbekannten Inhalt des Päckchens ausgehen, faltete er das Wachspapier auseinander. Vor ihm lag ein Stapel vergilbten Papiers. Die ersten Seiten waren leer. Dann gab es solche, die bis an die Ränder mit einer kleinen Handschrift bedeckt waren. Er versuchte, die Schrift zu entziffern.Aber obwohl er die Buchstaben und Zahlen lesen konnte, verstand er nichts von dem, was dort stand. Es war eine sinnloseAneinanderreihung von Zeichen. Er schaute Valerie an, aber auch sie schüttelte den Kopf. Sie wirkte enttäuscht.
    Monsieur Hofmann hob den Stapel an und drehte ihn um. Vier Worte standen dort, diesmal in einer großen, geschwungenen Schrift, vier Worte, die er sofort verstand, denn es war die Sprache seiner Kindheit.
    « Das Geheimnis einer Sommernacht », sagte er auf Deutsch. Dann schaute er lächelnd in die Runde.
    Die anderen sahen ihn ratlos an.
    Flüchtig blätterte er nun den Stapel loser Blätter durch. Sie waren mit Noten bedeckt.
    «Es ist eine Partitur», sagte er. «Die Partitur einer kleinen Operette. Und das ist ihr Titel: Das Geheimnis einer Sommernacht.»
    Noch immer lächelte er.
    «Was heißt das?», fragte Valerie. «Ich habe nie von einer Operette gehört, die so heißt.»
    «Nein», erwiderte Monsieur Hofmann, «Sie können nichts davon gehört haben. Niemand hat bisher davon gehört.»
    «Heißt das, Ihr Vater hat sie komponiert?»
    DerAlte schüttelte den Kopf.
    «Nein», sagte er. «Es ist eine Operette von Jacques Offenbach.»
    Valerie schaute ihn zweifelnd an. Sie wartete, dass Georges Hofmann weitersprach, aber er saß nur da und genoss seine Freude – seine Freude über das, was er in den Händen hielt.
    «Pardon, Monsieur, aber es gibt kein Werk von Jacques Offenbach mit diesem Titel.»
    «Wie Sie sehen, gibt es eins. Mein Vater hat Offenbachs Musik über alles geliebt. Wo auch immer er hinkam, hat er in Archiven, Bibliotheken und Antiquariaten gestöbert, um irgendeine Handschrift des Komponisten, die Erstausgabe einer Partitur oder auch nur einen alten Programmzettel zu finden. Eines Abends, es war wohl schon während des Krieges, kamer nach Hause. Er war auf einem seiner Streifzüge gewesen. Ich habe ihn selten so glücklich gesehen. Er hatte beieinem Trödler dieses Manuskript gefunden; und er hat sofort gesehen, dass es sich um die Handschrift Jacques Offenbachs handelte. ‹Es wird eine Zeit kommen, daman diese Musikwiederspielen wird›, sagte er zu meiner Mutter und mir, ‹und dann werden wir bei der Uraufführung in der ersten Reihe sitzen.›»
    Noch immer war Valeries Skepsis nicht völlig gewichen.Allerdings schien sie jetztWitterung aufgenommen zu haben.
    «Aber das würde bedeuten, dass er das Manuskript mit ins Lager genommen hat und dass er es dort während der ganzen Zeit hat verstecken können. Ich bezweifle, dass so etwas möglich war.»
    Jetzt schaltete sich Christine Delaunay ein. Zum ersten Mal sprach sie Valerie direkt an: «Sie haben keineAhnung, meine Liebe. Zum Glück richtet sich die Wirklichkeit nicht danach, was man im Fernsehen für möglich oder für unmöglich hält.Aber

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