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Partitur des Todes

Partitur des Todes

Titel: Partitur des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Seghers
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von hier, in der Freiherr-vom-Stein-Straße, steht doch die große Synagoge. Vielleicht fragen Sie dort einmal nach.»
    «Natürlich, vielen Dank», sagte Monsieur Hofmann, «das ist eine vorzügliche Idee. Ich werde Ihren Rat befolgen.»
    Die Kellnerin drehte sich um und verschwand in der Küche. Monsieur Hofmann sah ihr nach.
    Dann merkte er, dass der andere Hotelgast ihn anschaute. Etwas unschlüssig stand der Mann auf und kaman Monsieur Hofmanns Tisch. Er deutete eine Verneigung an und stellte sich vor. «Fröhlich», sagte er. «Mein Name ist Martin Fröhlich. Entschuldigen Sie, wenn ich Ihrem Gespräch eben zugehört habe…Aber vielleicht kann ich Ihnen weiterhelfen.»
    «Sind Sie Jude?», fragte Monsieur Hofmann.
    Der Mann lachte. «Nein, aber ich bin Philologe und habe mich oft mit jüdischer Literatur befasst. Wenn Sie mir verraten, was Sie wissen wollen, kann ich Ihnen vielleicht sagen, an wen Sie sich wenden können.»
    «Ich habe hier gewohnt», sagte Monsieur Hofmann. «Meine Eltern sind weggebracht worden, als ich noch ein Kind war. Sie sind tot. Sie waren in Auschwitz. Das ist alles, was ich weiß.»
    «Es gibt das Jüdische Museum», sagte Fröhlich. «Dort könnten Sie sich erkundigen, ob es Unterlagen über Ihre Eltern gibt. Wenn Sie etwas überAuschwitzwissen wollen, gibt es eine andere Möglichkeit. Kennen Sie das Fritz Bauer Institut?»
    Monsieur Hofmann lächelte bedauernd. «Nein, leider, mein Herr!»
    «Es hat seinen Sitz nicht weit von hier… im alten IG-Farben-Haus, dort, wo jetzt die Universität untergebracht ist.»
    «Natürlich», sagte Monsieur Hofmann, der nun einen Zettel und einen Stift aus der Tasche seinerAnzugsjacke gezogen hatte. «Das Gebäude kenne ich noch. Es ist riesig, nicht wahr? Wenn ich mit meinen Eltern daran vorüberging, sagte mein Vater immer: ‹Du und dieses große Haus, ihr seid im selben Jahr geboren.› Wie, sagten Sie noch, heißt das Institut?»
    «Fritz Bauer Institut. Dort arbeitet ein Archivar namens Bernd Meissner. Er genießt einen vorzüglichen Ruf. Wenn jemand herausfinden kann, was mit Ihren Eltern geschehen ist, dann er.»
    Monsieur Hofmann war aufgestanden und hatte seinen Strohhut aufgesetzt. «Dann werde ich diesen Herrn Meissner jetzt aufsuchen.»
    «Ich muss ebenfalls in die Universität. Wenn Sie eine Viertelstunde warten wollen, komme ich mit und zeige Ihnen den Weg.»
    «Nein, mein Herr, ich möchte Sie nicht weiter bemühen. Ich bedanke mich sehr für Ihre freundliche Hilfe.» Bereits zehn Minuten später bereute Monsieur Hofmann, dasAngebot des Philologen nicht angenommen zu haben. Obwohl er sich vomPförtner einen Plan hatte geben lassen, hatte er sich schon nach kurzer Zeit inden langen Gängen des riesigen Gebäudes verlaufen. Mehrmals geriet er an verschlosseneTüren und musste mit dem Paternoster das Stockwerk wechseln.Als er derselben Studentin, die er bereits nach dem Weg gefragt hatte, zum zweiten Mal begegnete, bot sie ihm ihre Hilfe an und brachte ihn zu den Räumen des Instituts.
    Zunächst dachte Monsieur Hofmann, es müsse sich um einen Irrtum handeln. Der blonde Mann, der ihm gegenüberstand, war höchstens vierzig Jahre alt. Erwar klein und hatte flinke, freundliche Augen. Er trug ein buntes T-Shirt und einen Ohrring.
    «Ich suche den Archivar Bernd Meissner», sagte Monsieur Hofmann.
    Der junge Mann sah ihn an. «Der bin ich. Kann ich Ihnen behilflich sein?»
    «Ich dachte, jemand, der sich mit diesen Dingen beschäftigt, müsse mindestens in meinemAlter sein. Man sagt mir, dass Sie wissen, was in Auschwitz geschehen ist.»
    Bernd Meissner lächelte. «Na ja», sagte er, «ich habe mich lange damit beschäftigt. Es kommt darauf an, was Sie interessiert…»
    «Ich weiß nichts», sagte Monsieur Hofmann. «Und ich will alles wissen. Ich will wissen, was mit den Menschen dort passiert ist.»
    «Alles ist vielleicht ein bisschen viel für den Anfang», erwiderte derArchivar. «Aber wenn Sie mir die Namen Ihrer Eltern sagen…»
    Monsieur Hofmann stutzte. «Wie kommen Sie darauf, dass es um meine Eltern geht?»
    «Weil Sie nicht der Erste sind, der zu mir kommt und solche Fragen stellt. Und weil auch die anderen älteren Leute immer etwas über das Schicksal ihrer Eltern wissen wollen. Weil sich irgendwann alle auf die Suche machen. Die einen früher, die anderen später.»
    Monsieur Hofmann lächelte. «Ich werde Ihnen die Namen sagen.Aber nicht sofort.»
    «Gut», sagte Bernd Meissner, für den es nicht vieles zu geben

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