Partitur des Todes
mit einer Bank, zwei Stühlen und einem Tisch möbliert waren.Auf jedem der Tische stand ein Töpfchen mit künstlichen Blumen und ein Aschenbecher.
Der Raum und die Bühne wurden nur von einer Lichtorgel beleuchtet, deren wechselnde Farben von einer sich drehenden Spiegelkugel reflektiert wurden. Marthalers Augen brauchten eine Weile, bis sie sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten.
Er suchte sich eine freie Nische und setzte sich auf die Bank, sodass er die Bühneim Blick hatte.Außer ihm waren nur wenige Gästeanwesend. Nebenan saß ein einzelner Mann, der seinen Oberkörper auf den Tisch gelegt hatte. SeineAugen waren geschlossen; er schien zu schlafen.
Eine andere Nische war mit zwei jungen Asiaten belegt, die vor ihren halbvollen Gläsern saßen und sich immer wieder verschämt umschauten. Manchmal wechselten sie ein paar kehlige Laute, verstummten aber sofort, wenn sich die Kellnerin in ihre Nähe bewegte.
Auf der anderen Seite des Raums sah Marthaler zwei schlanke, große Männer in Anzügen sitzen. Wahrscheinlich waren es Banker, die hier ihren Feierabend verbrachten. Sie saßen nebeneinander mit dem Rücken zur Bühne und schienen irgendwelche Unterlagen durchzuschauen, die vor ihnen auf dem Tisch lagen. Wie sie bei dieser Beleuchtung überhaupt etwas lesen konnten, war Marthaler ein Rätsel.
Die Kellnerin kam an seinen Tisch, blieb vor ihm stehen und schaute über seinen Kopf hinweg an die dunkle Wand. Offensichtlich hatte sie weder dieAbsicht, ihn zu begrüßen noch ihn nach seinen Wünschen zu fragen.Auch als er ein Pils bestellte, zeigte sie keinerlei Reaktion. Sie drehte sich um, verschwand und kam bereits eine halbe Minute später zurück. Wieder blieb sie stumm, wieder sah sie ihm nicht in dieAugen. Sie stellte das Glas vor ihm ab und nahm seinen Getränkegutschein. Marthaler sah, dass sie eine Perücke mit roten Locken trug.An ihrer Bluse war ein Schild befestigt mit der Aufschrift: «Nenn mich Cora!»
«Danke, Cora! Das schnellste Bier der Welt», sagte Marthaler.
«Hä?»
«Nix hä!», erwiderte er. «‹Wie bitte›, heißt es. Und: ‹Schönen gutenAbend, was möchten Sie trinken? Hier kommt Ihr Bier.› Nurweil Sie in einer Bumsbude arbeiten, müssen Sie nicht sämtliche Formen der Höflichkeit ignorieren.»
«Hä?»
«Vergessen Sie’s!», sagte Marthaler. «Ich möchte Barbara Pavelic sprechen.»
«Wen?»
«Barbara Pavelic.»
«Kenn ich nich.»
«Vielleicht kennen Sie sie unter dem Namen Babs.»
«Kenn ich nich.»
«Ich möchte eine Frau sprechen, die hier tanzt. Wie auch immer sie sich nennt. Eins achtzig groß, Mitte dreißig, blond gefärbtes Haar, großer Busen.»
«Kenn ich nich.»
Marthaler schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. Eine Geste, die er sich längst hatte abgewöhnen wollen, die ihm aber immer wieder unterlief, wenn er zornig war. Erschrocken sahen die beidenAsiaten zu ihm rüber.Als er sie ebenfalls anschaute, senkten sie sofort die Blicke.
«Dann möchte ich den Geschäftsführer sprechen.»
«Is nich da.»
Obwohl er genau das hatte vermeiden wollen, zog Marthaler seine Marke und legte sie auf den Tisch. Er packte die Kellnerin am Handgelenk und drückte zu.Sie verzog keine Miene.
«Sie gehen jetzt sofort nach hinten und holen die Frau, die ich Ihnen beschrieben habe. Sagen Sie ihr, ein Freund will sie sprechen. Sagen Sie ihr, es geht um ihre Erbschaft. Und wenn Sie nicht in zwei Minuten hier ist…»
«Dann gibt es mächtigen Ärger,dann nehmen Sie mich hops, dann lassen Sie den ganzen Laden hier auffliegen… War’s das? Hören Sie auf, Mann, die Leier kenn ich.»
Sie entwand sich seinem Griff und drehte sich um. Im selben Moment setzte ein neues Musikstück ein, und die erste Tänzerin betrat dieBühne.
Es war Barbara Pavelic.
Sie trug einen grünen Bikini und schwarze Stilettos. Sie war frisch geschminkt, ihr Haar war glatt gebürstet, und ihre Fingernägel schienen ebenso wie ihr Lippenstift zu fluoreszieren. Sie machte dieselben Bewegungen wie alle Tänzerinnen in allen Bars dieser Welt. Welche Musik dazu gespielt wurde, war offensichtlich egal. Sie lächelte ziellos in die Dunkelheit des Raums.
Die jungen Asiaten hielten ihre Gläser mit den Händen umfasst und starrten auf die Bühne. Die beiden Banker schienen weniger beeindruckt. Sie saßen weiter über ihren Unterlagen, und nur gelegentlich drehte einer der beiden seinen Kopf, um der Tänzerin für eine Sekunde zuzuschauen. Der Mann an Marthalers Nachbartisch schlief immer
Weitere Kostenlose Bücher