Partnerschaft und Babykrise
unterbringt, müssen die Partner nach der zweiten Schwangerschaft ihre Rollen neu organisieren. Jetzt erst entscheiden sie über Hausfrau/Hausmann und müssen unter Umständen mit knapperem Budget mehr Personen versorgen.
»Ich dachte, dass ein Kind nicht viel mehr Arbeit macht als zwei. Und jetzt denke ich, dass zwei viermal so viel Stress produzieren wie eines.« Eltern unterschätzen die Belastung, welche durch zwei Kinder entsteht. Sie haben erwartet, dass die Geschwister friedlich miteinander spielen und die Eltern dadurch Freiräume gewinnen. Stattdessen rivalisieren die Geschwister. Während das Einzelkind sich über Stunden allein beschäftigt hat, gibt es jetzt alle paar Minuten Streit und lautstarke Appelle an die Eltern, Partei zu ergreifen. Umgekehrt werden Geschwisterrivalitäten der Eltern belebt. Es bilden sind Bündnisse, welche die Partnerschaft belasten.
Im Unbewussten der Partner ließ sich das erste Kind in das symbiotische Geschehen einbetten, in Anlehnung an den mathematisch unsinnigen, psychologisch aber treffenden Satz »einmal ist keinmal« – ein Ereignis, das sich – so die emotionale Grundannahme – nie wiederholen wird, darf ignoriert werden. Das zweite Kind zerstört diese Illusion. Es lässt sich nicht mehr wegzaubern, dass es wirklich eine neue Generation gibt, die ihren Platz behauptet, Ansprüche stellt und nicht in eine Erweiterung der Primärsymbiose eingebettet werden kann.
Bei jungen Eltern, die noch dabei sind, sich in ihren beruflichen Rollen zu festigen, wächst ein erstes Kind oft bei Großeltern auf und sieht die leiblichen Eltern am Wochenende.
Das zweite Kind steht dann für den Umzug, in dem sich die Familie ein zweites Mal gründet. Die Belastungen für alle Beteiligten sind erheblich. Sie betreffen vor allem die Erstgeborenen, die unter enormen Druck geraten, glücklich auf eine Veränderung zu reagieren, die sie in Wahrheit deprimiert, und sich über eine richtige Familie zu freuen, die sie vor allem als Tanz um das zweitgeborene Kind empfinden.
Ich habe einige Male Patienten aus solchen Familien behandelt und ihre traumatische Situation rekonstruiert. Alle Beteiligten sind überlastet und verleugnen diese Überlastung. Sie erkranken unter dem Druck, Familie zu sein. Sie wollen sich und den Kindern Glück und Dankbarkeit angesichts der Zweitgründung aufzwingen.
In einem Fall bekam die Mutter nach der zweiten Schwangerschaft und dem Umzug in eine große, schöne Wohnung eine Angstneurose und konnte nicht mehr aus dem Haus gehen. Der Vater arbeitete pausenlos und trank nach Feierabend. Die älteste Tochter erledigte die Einkäufe und wurde geschlagen, sobald sie zu erkennen gab, dass sie es bei der Großmutter schöner gefunden hatte. »Du undankbares Kind, jetzt sind wir eine richtige Familie, und du willst zurück zu dieser Frau, die dir nicht einmal die Kletten aus den Haaren kämmte!«
Später entwickelte die Älteste eine Essstörung, an der sie fast gestorben wäre. Diese wurde behandelt und verschwand weitgehend; es war der Patientin aber immer noch nicht
möglich, gemeinsam mit den Eltern zu essen; wenn es unvermeidlich schien, wie bei Familienfeiern, musste sie starke Beruhigungsmittel nehmen.
Die traumatisierte Erstgeborene heiratete und bekam ein erstes Kind. Der Spuk schien vorbei, die neue Familie stabil – bis das zweite Kind kam. Nach einem Wutausbruch ihres Partners, der sich zurückgesetzt fühlte, erkrankte sie wieder an Panikzuständen, fürchtete, verrückt zu werden, konsultierte Nervenärzte und brach die von diesen vorgeschlagenen medikamentösen Behandlungen wieder ab, weil sie fürchtete, von den Tranquilizern abhängig zu werden.
In einer Psychotherapie zeigte sich, dass die Angstzustände durch Störungen in der Verarbeitung von Aggressionen ausgelöst waren. Die Patientin fürchtete sich vor Phantasien, ihre Mutter, ihren Ehemann oder sich selbst umzubringen. Ihre Fähigkeit, zwischen aggressiven Phantasien und Aktionen zu unterscheiden war durch den Druck geschwächt worden, den das Phantasma der glücklichen Familie auf die Patientin ausübte. Es gelang ihr nicht, ihre Wut gegen die Eltern wahrzunehmen und als berechtigt zu akzeptieren.
Diese Szene hatte die Patientin verleugnen können, so lange sie sich mit ihrem Ehemann symbiotisch verbunden fühlte. Erst das zweite Kind überlastete ihre Abwehr und führte zum Ausbruch der Angst, durch ihre Wut angesichts der eigenen Überlastung und der »vernünftigen« Vorschläge des
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