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Partnerschaft und Babykrise

Partnerschaft und Babykrise

Titel: Partnerschaft und Babykrise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schmidbauer
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für diese unbotmäßigen Wünsche kastrieren.
    So entstand die Konstruktion über die Frühblüte der kindlichen Sexualität und ihre Bewältigung angesichts der Gefahren
der Kastration bzw. des Liebesverlustes. Ebenso Sprachkünstler wie Empiriker, prägte Freud für die Emotionen zwischen dem Kind und den Eltern den Ausdruck »Ödipuskomplex«.
    An der Fruchtbarkeit dieser Entdeckung wird niemand zweifeln, der nicht polemisch gegen sie eingestellt ist. Nicht ohne Grund ist der Ausdruck Teil der Umgangssprache geworden. Vorurteilsfreie Beobachter sehen, wie ungestüm die erotischen Äußerungen von Kleinkindern sind. Freud hat die Aufmerksamkeit für diese prägenden Perioden des Lebens geschärft und entwickelt.
    Auf der anderen Seite ist sein Modell unvollständig, einseitig und provisorisch. Es konzentriert sich auf die Phantasiewelt des Kindes. Um diese klar zu fassen, hat Freud später die Bedeutung des Verhaltens der Eltern , ihrer Verführungen und Ansprüche zurückgestellt – Kritiker sagen: bagatellisiert. Und er hat darüber hinaus die Interaktionen zwischen den sexuellen Störungen in der Ehe der Eltern und den ödipalen Gefühlen der Kinder in einer Weise ignoriert, die heute fast bizarr anmutet (etwa in seinem »Fragment einer Hysterieanalyse« über den Fall »Dora«).
    Die oben beschriebene Szene mit dem fünfjährigen Mädchen, das der Mutter und der Erstgeborenen stolz mitteilt, es habe ja den Papa als sicheres Eigentum, wäre ganz harmlos, wenn nicht auch in diesem Fall bereits die Geburt des ersten Kindes die Ehe in eine nie ganz geheilte Krise und Entfremdung zwischen den Eltern geführt hätte.
    Die Mutter fühlte sich vom Vater verlassen und enttäuscht; sie suchte deshalb die Nähe der ältesten Tochter, zog sie in ihr
Vertrauen, entwertete mit ihr den Vater und schloss die Zweitgeborene ebenso aus diesem Bündnis aus, wie auch diese, angespornt durch die Rivalität mit der Erstgeborenen, den Vater für sich zu gewinnen glaubte. Vielleicht hat sie sogar etwas von dessen Verführbarkeit geahnt.
    Den hier vorgeschlagenen Blick auf Familien nennen wir heute »systemisch«, um die wechselseitige Abhängigkeit der Beziehungen und der Symptome zu betonen. Nun ist jede intelligente Betrachtung psychologischer – das heißt ja auch immer: komplexer und interdependenter Ereignisse – systemisch, muss sich darauf konzentrieren, Wechselwirkungen und Rückkopplungen zu erfassen.
    Das Kind als Richter
    Die Familie in der modernen Gesellschaft gleicht der römischen Republik insofern, als sie grundsätzlich von zwei gleich Mächtigen regiert wird. Formal haben Vater und Mutter die gleiche Befugnis. Bei den Römern hatte das Konsulat die Königsherrschaft abgelöst, welche angesichts der ihr innewohnenden Gefahren von Hochmut und Willkür durch diese Zweierspitze ersetzt wurde.
    Diese grundsätzliche Doppelspitze (es gab zwei Tribunen, Quästoren usw.) wurde durch die Diktatur aufgehoben. In besonderen Krisen, wenn das Überleben des Staates auf dem Spiel stand, wurde ein Herrscher berufen, der allerdings nur die Hälfte eines Jahres im Amt bleiben durfte.

    Eine solche Organisation berücksichtigt das Wissen um Korrumpierbarkeit durch Macht. Allerdings ist sie auch aufwendig und anfällig für Störungen; alle Entscheidungen müssen abgestimmt werden. Da jeder Partner der Zweiermacht ein Vetorecht gegen die Entscheidung des anderen hat, geht oft gar nichts vorwärts. Um diese Pattsituation zu vermeiden, führten die Römer schließlich sozusagen durch die Hintertür doch die verschmähte Monarchie wieder ein; Cäsar und seine Nachfolger waren auf Lebenszeit ernannte Diktatoren. In einer der häufigsten Formen der Eltern-Beschädigung durch das Kind wird das Kind angesichts der von ihm ausgelösten Krisen und Liebesdefizite zum unfreiwilligen Schiedsrichter, zum Kitt, zur einzigen Brücke der Elternbeziehung. »Wenn du nicht wärst, hätte ich nicht geheiratet, wäre ich nicht geblieben!« Das Kind soll entschädigen für den Symbiosebruch, der mit seinem Erscheinen verbunden wird. Obwohl es das schwächste Glied der Familie ist, wird ihm die Machtfülle des Diktators zugeschrieben.
    Das klingt übertrieben und ist es auch, weil diese Form kindlicher Macht von Ohnmachtserlebnissen durchmischt ist, die weit über das hinausgehen, was ein Kind in dieser Hinsicht normalerweise erlebt. Ein Kind, das sich mächtiger erlebt als die Mutter oder der Vater, das von diesen als Helfer gesucht wird, steigt höher

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