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Partnerschaft und Babykrise

Partnerschaft und Babykrise

Titel: Partnerschaft und Babykrise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schmidbauer
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Therapie die Verwandlung des Partners zu erwarten. Sie geben zu, dass es kaum möglich ist, erwachsene Menschen zu erziehen. Sie begreifen, dass Vorwürfe, Druck, Drohung und Gewalt keine angemessenen Mittel sind, um Menschen zu bewegen.

    Beim nächsten »Fehlverhalten« des Partners treten Vorwurf, Druck und Drohung wieder auf den Plan. Der Therapeut muss zufrieden sein, wenn diesmal wenigstens die Gewalt unterbleibt. Er wird geduldiger mit seinen Patienten umgehen und diese vielleicht auch zu mehr Geduld mit ihrem Streit bewegen können, wenn er sich und ihnen klarmacht, dass die Wahrnehmung der »Schuld« des Partners an einer unbefriedigenden Situation wie eine Autobahn vor uns liegt, während wir den Weg zu unseren eigenen Fehleinschätzungen, zu verleugneter Kränkbarkeit und kindlicher Bedürftigkeit durch finstere Wälder bahnen müssen.
    Glück und Gefahr liegen in der modernen Liebesbeziehung eng beieinander, weil es wenige Regulierungen gibt, die in Krisensituationen eine Regression aufhalten können. Die arrangierte Ehe als Vertrag zwischen sozialen Gruppen trug dazu bei, dass dramatische Gesten – sowohl des Angriffs wie des Rückzugs – erst einmal in ihren Folgen für eine äußere Macht – die eigene und die Sippe der Partnerin bedacht werden mussten.

    Heute schaffen Paare ihre eigene Beziehungswelt und isolieren diese gegen die Ursprungsfamilien. Das verstärkt die Abhängigkeit und steigert den Druck von Idealisierungen. Vor allem können solche Beziehungen den Einbruch eines Dritten schlecht regulieren. Die Gefahr ist groß, dass sie ihn als Verrat am einstigen Ideal der Gemeinsamkeit deuten und in einen Teufelskreis geraten, in dem sich die bisherige Symbiose auflöst.

    Die Sehnsucht nach Harmonie
    Wir hören’s nicht, wenn Gottes Weise summt,
wir schaudern erst, wenn sie verstummt.
    Hans Carossa

    Vielleicht wird man einmal die an der Kränkungsverarbeitung beteiligten Hirngebiete so genau erfassen können, dass sich die extrem ausgeprägten individuellen Unterschiede in dieser Leistung erfassen und mit der Art und Weise verknüpfen lassen, in denen das Gehirn frühere verletzende Erfahrungen gespeichert hat. Gegenwärtig erscheint diese Erkenntnismöglichkeit noch in weiter Ferne; wir müssen uns mit dem behelfen, was Menschen erzählen, und akzeptieren, dass viele Ursachen im Dunkeln bleiben.
    Manche Menschen können Kränkungen ungleich besser abschütteln und zur lustvollen Tagesordnung zurückkehren als andere, denen das Ereignis tagelang nachgeht. Diese sind von dem Empfinden geprägt, dass die Welt nicht mehr in Ordnung ist, sie sich nicht entspannen, nichts genießen dürfen, ehe sie wieder die nötige Harmonie zurückgewonnen haben.
    Die symbiotische Qualität dieser Sehnsucht leuchtet ein. Die Betroffenen haben ein urtümliches Modell der Kränkungsverarbeitung nicht überwinden können: das der Anlehnung und Verschmelzung.
    Stellen wir uns ein Kind vor, das beim Spielen im Hof von einem anderen heftig geschlagen wird und diesen körperlichen wie seelischen Schmerz nicht erträgt. Die archaische
Zweiteilung der Reaktionen wurde schon beschrieben, mit deren Hilfe wir solche Situationen verarbeiten: Kampf oder Flucht. Das Kind kann entweder blindwütig auf den Gegner losgehen und sich rächen – mit der Gefahr, noch mehr Prügel einzustecken. Oder es kann Hilfe suchend nach Hause laufen.
    Ich war vielleicht sieben Jahre alt, als mein zwei Jahre älterer Bruder Ernst im Januar beim Schlittschuhlaufen auf der Ilz bei Passau durch den Zusammenstoß mit einem erwachsenen Eisläufer verletzt wurde. Das hintere Ende von dessen Kufe drang in seinen Oberschenkel, er blutete heftig. Ich lief nach Hause, zur Mutter, einen relativ weiten Weg, in einer Art kalter Panik – ich hätte bei ihm bleiben sollen, aber ich musste Hilfe holen, vor allem aber brauchte ich den zentralen Trostpunkt meiner Welt, nachdem der periphere, nicht selten als Rivale bekämpfte Bruder ausgefallen war.
    Die Szene, in der ich die Wunde sah und diesen Entschluss fasste, ist mir in lebhafter Erinnerung. Ich musste diesen Anblick zu meiner Mutter tragen und durfte nicht bei dem Verletzten bleiben, was ich ebenfalls wollte, aber nicht zu leisten vermochte. Ich konnte ihm nicht helfen, und ich konnte die Schwäche meines Bruders nicht ertragen, was mich als Schuld, als Versagen auf dem Heimweg beschämte. Es scheint mir auch bezeichnend, dass meine Erinnerung in dem Augenblick erlischt, als ich angekommen war.
    Der

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