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Pas de deux

Pas de deux

Titel: Pas de deux Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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verstanden, daß ich nicht über sie lachte, sondern über mich, der ich mich gefangen glaubte, in schwere Ketten geschlagen.
    Ein paar Stunden später würde ich nicht mehr ganz so fröhlich sein, wenn der Rausch der Befreiung verflogen und ich wieder allein war. Im Moment jedoch war ich hin und weg. Ich sagte ihr, sie könne den Volkswagen behalten, was sie aber nicht beruhigte, sondern nur noch mehr zusammenzucken ließ. Da sie die Tür versperrte und anscheinend in Windeseile nachdachte, war mir nicht klar, ob sie mich schlicht zurückhalten wollte oder vorhatte, mich in die Enge zu treiben und zu vernichten. In Wirklichkeit, glaube ich, wollte sie beides, mich behalten und mich zu Brei zerschlagen.
    Ich betrachtete sie und dachte daran, daß wir uns sicher schon hundertmal getrennt hatten, seit ich sie kannte, also hatte ich ihr auch nichts Besonderes mitzuteilen. Die Gelegenheiten, bei denen sie gedroht hatte, mich rauszuwerfen, woraufhin ich stets kapituliert hatte, waren nicht mehr zu zählen. Jetzt erkannte ich, wie sehr sie geblufft hatte, was für ein Schwachkopf ich gewesen war, und alles, was sie gemacht hatte, zerbröselte weiter, fiel mehr und mehr in sich zusammen, und sie konnte nichts dagegen tun. Je mehr Rettungsversuche sie unternahm – jetzt erklärte sie, wir müßten miteinander reden –, um so mehr brannte mir der Boden unter den Füßen.
    Ich war viel zu aufgeregt, um irgend etwas zu bereden, viel zu fasziniert von meiner neuen Macht, um der Versuchung zu widerstehen, mich ihrer zu bedienen. Das war eine so jähe und unerwartete Umwälzung, daß ich wie unter dem Eindruck einer enormen Beschleunigung das Gesicht verzog. Sie glaubte, ich gäbe nach. Sie reichte mir die Hand und schlug vor, wir sollten uns hinlegen und unsere Gedanken ordnen. Ich ging zur Tür.
    »Wenn du durch diese Tür gehst …« rief sie.
    Selten hatte ich mich so beschwingt gefühlt wie in dem Moment, wo ich sie aufmachte.
    »Verdammt! Dann hau ab, du Schwein!!« fauchte sie hinter mir.
    Ich schwebte auf einer Wolke. Sie zerschmetterte etwas auf meinem Kopf, irgendwelche Bröckchen flogen um mich herum, aber ich spürte nichts und drehte mich nicht einmal um. Ich nahm im Vorbeigehen meinen Koffer an mich, packte ihn mit glorreicher Hand. Ein paar Sachen fielen die Treppen hinunter, Bücher zumeist. Ich würde sie unten aufheben.
    Bevor ich mich am Klavier niederließ, schleppte mich der Besitzer auf die Toilette und half mir, meine Wunde zu reinigen. Er machte einen neuen, arnikagetränkten Umschlag für mein Auge und befestigte ihn mit zwei Streifen Heftpflaster.
    »Bist ’n netter Junge, Henri-John«, sagte er zu mir. »Aber ich möchte nicht, daß das noch einmal vorkommt. Das sieht blöd aus vor den Gästen, man fragt sich, wo du herkommst.«
    Ich hatte mich ein wenig aufzupeitschen versucht, nachdem ich Annas Haus verlassen hatte, aber die Kneipen blieben mir verschlossen, mein Aussehen hatte sie beunruhigt. Ich hatte mich mit einer Bank auf der Place Saint-Michel und mit einer kleinen Flasche Whisky begnügen müssen, die ich in mich hineingekippt hatte, während ich die Toten zählte. Ich wäre um nichts in der Welt umgekehrt, aber ich konnte mir nicht verhehlen, daß mich mein Erfolg teuer zu stehen kam. Mit Einbruch der Dunkelheit war eine leichte Angst über mich gekommen. Ich ertappte mich dabei, daß ich mir die schönen Momente ins Gedächtnis rief, die ich mit Anna erlebt hatte, und ich hatte Mühe, mich davon abzubringen, weil das nicht das beste Mittel gegen den leisen Schmerz war, der langsam aufkeimte, gegen die Leere, die auf den Sieg folgte.
    Als ich mich ans Klavier setzte, war es schon spät, der Saal war blauverqualmt, und mein Viervierteltakt tauchte aus dem Nebel auf wie ein steinerner Altar auf einer schottischen Heide. Ich war traurig und froh, verletzt, einsam und leicht betrunken. Ich spielte ihnen einen Blues.
     
    Georges holte mich zwei Tage später im Krankenhaus ab. Ich war dort im Delirium eingeliefert worden, die Folge eines Versuchs, meine Erlebnisse zu begießen. Man hatte mich einen ganzen Tag zur Beobachtung dabehalten, das heißt unter dem wachsamen Auge einer unsäglichen Krankenschwester, die mit dem Aspirin knauserte und ständig sagte, das sei nur recht so, der Herr habe mich bestraft und er werde diese Stadt von sämtlichen Halbstarken befreien, die nichts als Raufen und Saufen im Kopf hätten.
    Ich fühlte mich schlapp. Ich schaffte es nicht, Georges zu erzählen, was mit

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