Pas de deux
einigermaßen nervös und wünschte sich, daß ich ihn im kommenden Jahr nicht allzusehr aufregen möge, daß ich nicht auf die Idee verfiele, die Dachabdeckung zu ändern oder etwas in der Art. Dann bot er mir ein Glas Portwein an und erneuerte seine Absicht, mir das Fach Kunstgeschichte anzuvertrauen.
»Selbstverständlich werden Sie uns mit gewissen heiklen Dingen à la Mapplethorpe verschonen«, scherzte er. »Ich hab Sie im Auge, alter Schlingel!«
»Ich werde versuchen, daran zu denken.«
»Ich habe vor einigen Tagen das gesamte Kollegium zusammengerufen, aber da waren Sie noch nicht zurück, nehme ich an … Wie dem auch sei, der Auftrag lautete: ›Weniger Diskussionen. Mehr Sittlichkeit‹. Ich habe nicht versäumt, alle auf diesen Punkt hinzuweisen. Wir dürfen nicht vergessen, daß Sie und ich und der gesamte Lehrkörper in vorderster Front stehen, wenn es, und daran zweifeln wir nicht, einen Kampf auszufechten gilt, damit diese Gesellschaft nicht bis ins Mark verfault! Noch kommen die heftigsten Anzeichen für einen solchen Kampf aus dem Ausland, aber uns stecken sie bereits auch in der Kehle. Nicht wahr, was meinen Sie dazu?«
»Ach Gott … Erinnern Sie sich, daß Sie mir von einem gemeinsamen Freund erzählt haben? Ich habe Sie im Sommer aus den USA angerufen … Tja, ich glaube zu wissen, um wen es sich handelt.«
»Aber sicher! Um William Sidney Collins, unseren großen Freund und noblen Wohltäter …! Die Welt ist klein, man kann es nicht oft genug sagen. Mein lieber Henri-John, Sie ahnen gar nicht, wie sehr dieser Mann nur Ihr Bestes will.«
»Mmm … Ich war früher sehr gut mit seinem Sohn befreundet.«
»Aha … Ich wußte gar nicht, daß er einen Sohn hatte!?«
»Doch, doch … Er hatte einen Sohn.«
Ich hatte keine Lust, ihm mehr darüber zu erzählen. Ich ließ ihn in seiner Neugier schmoren, lehnte einen zweiten Portwein ab und ließ mich auch von seinen Grimassen nicht erweichen. Ich stelle fest, daß es mir noch genausoviel Spaß machte, ihn auf die Palme zu bringen. Dabei war er nicht durch und durch unangenehm, auch nicht gefährlich oder böse, wie es unser Freund, der Richter, sein konnte. Er war beinahe ein erträgliches Wesen in dieser Welt von Irren und Mördern.
Ich wußte nicht, was aus Georges eigentlich geworden war, wie ich ihn einzuordnen hatte. Ich wußte nicht, wozu er fähig war. Ich hatte ihn jahrelang für einen Schwärmer gehalten, und ich wollte nichts anderes in ihm sehen. Er war der Mann, der meine ganze Kindheit und Jugend bis zu meiner Hochzeit mit Edith begleitet hatte. Er hatte mich – mehr noch, als mir bewußt war – beraten, geführt und mit allem bereichert, was er wußte. Er hatte mich bestimmte Verhaltensweisen, bestimmte Anschauungen dem Leben gegenüber gelehrt. Es gelang mir nicht, aus ihm schlau zu werden. Nach Rebeccas Tod hatten wir ihm all seine Überspanntheiten durchgehen lassen, und jetzt sah ich, wie fern er mir war, niemals würde ich so laut rufen können, daß er mich hörte.
»Warum erzählst du mir immer die gleiche Leier?! Ich dachte, du wolltest mich wegen etwas Dringendem sprechen!«
»Gib mir meinen Stock, und ich breche dir die Knochen, Henri-John! Mit welchem Stumpfsinn verbringst du deine Tage?! Was tust du Wichtiges, um derart verblendet zu sein?! Wenn dir Ediths Heil nicht wichtig erscheint, dann geh! Scher dich fort!«
»Schön. Nichts anderes tue ich.«
»Aber ja! Das kannst du, dich drücken! Krieche mit den anderen! Kehre unter die Erde zurück aus Angst, daß dich das Licht blendet!«
Ich setzte mich wieder, weil ich sah, daß er wirklich verzweifelt war.
»Ah, verdammt noch mal!« seufzte ich und schüttelte den Kopf.
»Ich bete seit Monaten Tag für Tag, verstehst du, ich habe gefastet und inständig gebetet!«
»Für wen? Für die Kranken, die Obdachlosen? Für die, die Hunger haben und leiden?! Nein, für die natürlich nicht. Du siehst nur noch, was um dich herum geschieht. Daß Kinder getauft werden, daß sich Ehepaare nicht scheiden lassen und daß die Messe auf Latein gelesen wird, mehr interessiert dich nicht! Meine Güte, ist das alles, was du gefunden hast?!«
»›Der Mensch darf nicht trennen, was Gott zusammengefügt hat.‹«
»Es hat keinen Zweck mehr, mit dir zu reden. Du bekommst nichts mehr mit. Weißt du, ich habe deinen Glauben bewundert. Ich war dazu nicht imstande, aber du hast mich beeindruckt. Selbst wenn ich nicht deiner Meinung war, habe ich dich bewundert, in mir war nichts, was
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