Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pas de deux

Pas de deux

Titel: Pas de deux Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
Vom Netzwerk:
ich dem nachtrauere oder nicht …«
    »Ja … Ich hoffe, bei Chantal hast du mehr Glück …«
    »Mmm … Keine Ahnung … Das nimmt merkwürdige Formen an. Außerdem wird mir das langsam lieb …«
    »Ich bin halbwegs im Bilde.«
    »Ach du je, du machst mir angst …«
    »Ich weiß nicht, ob du’s bemerkt hast, aber das gibt einiges her auf einer Wäscheleine. Ein bißchen zuviel Spitze, wenn du mich fragst. Aber es geht nichts über Seide, da stimme ich dir zu …«
    »Du findest das albern, was? Aber ich kann dir sagen, was wirklich albern gewesen wäre. Wirklich albern wäre der ganze Schmus gewesen, den ich hätte verzapfen können, all die schönen Reden, die ich geschwungen hätte. So ist die Sache wenigstens klar und deutlich. Ich werde nicht vor ihrer Tür schnurren. Sie macht mir auf, und ich stecke ihr mein Geschenk zu. Und dann sage ich ihr, daß ich das nicht aus eigener Tasche bezahle, sondern mit den Typen kungele, die mich abends spielen hören. So hat sie ein ruhiges Gewissen, und ich brauche mir nicht den Mund fusselig zu reden. Ich bin lieber albern, als daß ich mir ein Bett aus Nägeln mache, weißt du, mit den Spitzen nach oben. Ich fühle mich nicht wohl in der Rolle eines Fakirs. Ich will abends einschlafen können, ohne mir Gedanken machen zu müssen, was zwischen mir und einer Idiotin meines Kalibers nicht stimmt!«
    »Verdammt noch mal, Henri-John! Ich schwöre dir, es ist so tröstend, mit dir zu quatschen, es ist eine wahre Freude! Ich merke, daß mir das gefehlt hat …«
     
    Ich packte die Krankenschwester am Handgelenk. Ich spürte, daß ich ihr sämtliche Knochen einzeln brechen würde, wenn ich mich nicht zusammenriß.
    »Ich bitte Sie …« sagte ich und biß dabei die Zähne zusammen, um nicht laut zu werden. »Verfehlen Sie die Vene nicht zum drittenmal, passen Sie gut auf … Ich hatte sie zu lange unter meinen Fittichen. Stechen Sie mich ab, wenn Sie wollen, aber wenn Sie noch einen Tropfen ihres Bluts auf den Boden vergießen, hören Sie gut zu, was ich Ihnen sage, dann reiße ich Ihnen im nächsten Augenblick den Arm und den Kopf ab.«
    Ich spürte, daß mir die Tränen in die Augen schossen. Eléonores Tränen hatte ich kurz zuvor abgewischt. Sie hatte sich, während die andere laut seufzte, sie habe es wieder nicht hingekriegt, nach mir umgedreht, und ihr Gesicht hatte sich verzerrt, ihr Kiefer hatte sich zitternd geöffnet, und ihre sonst so strahlend schöne Haut war mir gelb und bläulichrot erschienen. Ihr Gesicht war sicher nicht nur vor Schmerz entstellt, aber alles, was in meiner Macht stand, war, diese dicke und blasse Krankenschwester durchzuschütteln, die hinter meinem Rücken maulte.
    Zwei Typen packten mich an den Armen und schafften mich raus. Durch die Scheiben konnte ich einen letzten Blick auf Eléonore werfen, die gerade ihre Füße in die Laschen steckte. Man verfrachtete mich mehr oder weniger freundlich in den Wartesaal. Wahrscheinlich hatten sie mich nur nicht rausgeworfen, weil ich plötzlich sanft wie ein Lamm war. Was hatte ich eigentlich erwartet? Ich hatte mich geweigert, sie allein zu lassen. Oli hatte seine Beziehungen spielen lassen, und die Station hatte strikte Anweisungen vom Direktor persönlich erhalten. Aber hätte ich es überhaupt ausgehalten, wenn man mich nicht fortgeführt hätte? Hätte ich mich nicht wehren müssen, wenn ich mehr Mumm gehabt hätte?
    Der Direktor war ein großer Blonder, lächelnd und selbstsicher.
    »Kommen Sie in drei, vier Stunden wieder. Gehen Sie spazieren, bleiben sie nicht hier … Wenn alles gutgeht, kann sie das Krankenhaus sofort verlassen. Kommen Sie, alter Freund, tun Sie mir den Gefallen und genießen Sie ein wenig die Sonne.«
    Der Himmel war von einem herzzerreißenden Blau, das Wetter fast zu schön. Halb benommen verließ ich das ›Brigham and Women’s Hospital‹ und schlenderte zum Charles River, wo sie alle im Gras lagen und in der Sonne dösten oder die Meeresluft atmeten oder eine Radtour machten oder, fern von Roxbury, wie die Irren das Ruder führten. Sie war noch ein Kind und bekam ihre erste Ausschabung. Und ausgerechnet mir mußte das passieren. Die Luft war widerlich mild, angereichert mit diesem ewigen Grillgeruch, der mir normalerweise nicht mißfiel. Ich war noch ein Junge gewesen, als ich so alt war wie sie jetzt. Das Leben glich einem Spiel, wir hatten nicht die geringste Ahnung, was uns erwartete. Heute mußte man schnell lernen. Die Jugend bedeutete nichts mehr. Kaum steckte

Weitere Kostenlose Bücher