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Pas de deux

Pas de deux

Titel: Pas de deux Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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Lehrerkollegen. Manchmal rauchte ich mit ein paar von ihnen eine Zigarette, aber das ging – wenn ich das nach der Episode mit Hélène Folley sagen darf – nicht über die üblichen Banalitäten oder die Erwähnung der kleinen Ereignisse hinaus, die sich in unseren Mauern zutrugen. Sie betrachteten mich nicht als einen der Ihren, zum einen wegen meiner Abwesenheit während der ersten beiden Trimester, zum andern, weil sie glaubten, ich sei reich, oder zumindest, meine Frau sei es. Daher hielten sie sich von mir fern, wenn sie im Hinblick auf eine gewisse Gehaltserhöhung konspirierten. Vielleicht mißtrauten sie mir auch wegen der Beziehungen, die Edith mit Heißenbüttel unterhielt. Trotzdem schickte ich mich, von Natur aus nicht sehr gesellig, in die Situation. Wenn ich mehrfach daran gedacht hatte, die Sache aufzugeben, dann nicht aus Bitterkeit oder mit dem Ziel, ein freundliches Ambiente zu suchen. Es war schon alles in Ordnung.
    Ich hatte beschlossen, Hélène Folley den Zutritt zu meinem Büro zu untersagen, aber das war nicht nötig, sie klopfte nicht mehr an meine Tür. Als ich ihr mitgeteilt hatte, wir brauchten uns beide nur noch behandeln zu lassen, war ich so frostig und ätzend gewesen, daß sie mir künftig lieber aus dem Weg ging, und ich hatte erreicht, was ich wollte. Hin und wieder begegnete ich ihr, und in Gesellschaft der anderen wechselten wir schon mal ein paar Worte, nie jedoch unter vier Augen, und ich bemühte mich, meinen Blick nicht unter ihre Schultern fallen zu lassen.
    Unter diesen Umständen hüllten sich meine Tage in eine wohltuende Fadheit. Außer mir schien alle Welt ungemein beschäftigt, jeder wußte, wohin er ging, was mich angesichts des Durcheinanders, in dem ich steckte, doch überraschte. Ich war mitten in eine Armee geraten, die in den Kampf zog, ich wirbelte, dem Gedränge wehrlos ausgeliefert, um die eigene Achse und hatte weder Ziel noch Anhaltspunkt, nichts und niemand, der mich wieder auf den rechten Weg hätte bringen können. Wenn meine Kurse zu Ende waren, blieb ich nicht ellenlang in den von Fleiß und Strebsamkeit verpesteten Gängen, in dieser Atmosphäre, die mir mein Chaos nur noch deutlicher machte, sondern kehrte schleunigst in mein Büro zurück und schloß in dem gestreiften Licht, das durch meine Jalousien drang, die Augen.
    Ich dachte nach, ich phantasierte, ich beschloß zu handeln, und eine Sekunde darauf wäre ich unfähig gewesen, auch nur den kleinen Finger krumm zu machen. Ich trieb in einer Nußschale dahin, ohne Segel, ohne Ruder, ohne Steuerrad, von dem fatalen Eindruck gepeinigt, daß ich mich im Kreis drehte. Niemand konnte etwas für mich tun.
    Sicher, ich versank zwar mitunter in einer fürchterlichen Melancholie – aber da weckte mich immerhin der Schmerz –, die meiste Zeit war ich jedoch seltsam betäubt. Es wurde Tag, dann wieder Nacht, und das war, als läge ich untätig an einem leise plätschernden Bach, ohne auf etwas Lust zu haben.
    Ich war ziemlich oft allein, denn die Mädchen fuhren sie besuchen und blieben über Nacht und kamen erst am Morgen zurück, um sich schnell umzuziehen und wieder loszurauschen, ohne eine Minute zu verlieren. Sie konnten es sich nicht leisten, mit mir zu frühstücken. Ich brauchte nur einen Blick mit Eléonore zu wechseln, um zu merken, daß man sie mit keiner Botschaft betraut hatte. Als Reaktion auf das betrübte Gesicht, das sie machte, lächelte ich ihr zu, danach verschwand ich hinter den Nachrichten des Tages.
    Ich habe lange gezögert, Ediths Tagebuch aufzuschlagen. Eines Abends rüstete ich mich mit einem Schraubenzieher, einem großen Glas Wein und einer Monte Christo Nr. 3 aus und ging ins Schlafzimmer. Ich setzte mich aufs Bett, ich leerte mein Glas und zündete die Zigarre an. Wenn sie nicht da war, konnte ich im Schlafzimmer trinken und rauchen, und das die ganze Nacht, wenn mir danach war, aber das war kein richtiger Trost. Ich legte das Tagebuch auf meine Knie. Es war weder heiß, noch leuchtete es, es strahlte auch keine besonderen Kräfte aus, aber dennoch, es war ihr Tagebuch. Ich wartete eine Weile, rollte prüfend die Zigarre zwischen meinen Fingern, denn ich hatte alle Zeit, die ich brauchte. Die Geheimnisse, die es enthielt, schüchterten mich ein wenig ein. Ich ging noch einmal hinunter, um die Flasche zu holen. Ich hatte noch nie einen Blick in dieses Buch riskiert. Wir hatten uns beide die schlimmsten Gemeinheiten geleistet, aber ihr Tagebuch hätte ich niemals angerührt.

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