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Pas de deux

Pas de deux

Titel: Pas de deux Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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an seltsamen Krankheiten litten, einem Fieber, das wir uns angeblich in Berlin zugezogen hatten, oder einem Leiden, das uns in Budapest befallen hatte, als wir die giftigen Dämpfe der Donau einatmeten, und von dem unweigerlich die gesamte Schule dahingerafft worden wäre, wenn man uns nicht von allen anderen ferngehalten hätte. Und so weiter und so fort, und während uns der Direktor beunruhigt anschaute, fragte sich Georges laut, ob die Schule danach strebe, all diese Kinder zu fördern oder kaputtzumachen, oder er äußerte eine Überlegung ähnlichen Kalibers, um endlich loszuwerden, was er auf dem Herzen hatte.
    So kam es, daß Mademoiselle Alice Parker am nächsten Tag, als sie sich über unsere Kenntnisse informiert hatte, einen Stuhl packte und sich seufzend darauf fallen ließ. Dann erklärte sie, so etwas habe sie noch nie erlebt.
    Auf Georges’ Rat hin halfen wir ihr jedoch beim Umzug, um ihr zu beweisen, daß wir bei aller Unwissenheit nichtsdestoweniger guten Willens waren. Die Bücherkisten, die sie uns auspacken ließ, beeindruckten uns gewaltig.
    »Ach du Schreck, die wird uns umbringen!« sorgte sich Oli, und so dachten auch Edith und ich.
    Das war ein herber Tag für uns. Der Gedanke, eine Lehrerin im Haus zu haben, war fürchterlich. Und je mehr Sachen sie unterbrachte, um so mehr beschlich uns das Gefühl, daß die Falle zuschnappte.
    Es verstand sich, daß unsere Leistungen nicht berauschend waren, aber Georges und meine Mutter hatten uns das nie übelgenommen. Mitunter beruhigten sie uns sogar, wenn ein Lehrer irgendeine abfällige Bemerkung über unsere Fähigkeiten in unsere Zeugnisse eintrug. Wir seien reich an anderen Dingen, erklärte man uns. Wir führen auf Reisen, wir begegneten anderen Leuten, erkundeten Städte und besuchten Museen, von deren Existenz dieser Tölpel wahrscheinlich gar keine Ahnung habe – das wollten wir gern glauben, denn um die Museen, um die kamen wir nie herum –, und vor allem lebten wir inmitten von Künstlern, und wir müßten begreifen, daß wir riesiges Glück hätten, denn sie seien uns Vorbild. Einzig dem Tanz könne man seine ganze Existenz verschreiben, er allein sei die Erfüllung des Lebens, trichterte man uns ein. Höchstens noch die Musik, die Malerei oder die Literatur … Diese Typen in ihren Schulkitteln, was wußten sie schon von der Schönheit, was kannten sie außer der Liste der Departements und den Gedichten von irgendeinem Sauertopf?! Georges redete sich in Fahrt und drohte damit, dem Kerl die Fresse zu polieren. Uns war lieber, er verzichtete darauf, unser Ansehen war ohnehin schlecht genug.
    Trotz alledem hetzten sie uns diese Alte auf den Hals.
    Am Abend trafen wir uns in Ediths Zimmer. Die anderen waren unten, um Giselle zu proben, wenn auch nicht ganz bei der Sache, denn das war nicht die Art von Ballett, die sie vom Hocker riß. Uns ging es auch nicht besonders. Georges hatte einen Vertrag für eine Tournee durch die Provinz unterzeichnet, und wir hatten erfahren, daß Mademoiselle Alice mit auf Reisen ging. »Nicht nur diesmal, in Zukunft auch …«, hatte Georges betont. Genau das hatten wir befürchtet. Wir öffneten das Fenster, dann legten wir uns aufs Bett, um zu rauchen. Wir waren uns einig, daß die Zukunft düster aussah.
     
    Wie dem auch sei, wir fingen an, ihr das Leben schwerzumachen. In Bordeaux ließen wir sie irgendwo sitzen, und in Toulouse richteten wir es ein, daß ihr Koffer im Hotel zurückblieb. Die Tournee war langweilig. Die Streiche, die wir Mademoiselle Alice spielten, rissen uns ein wenig aus der allgemeinen Verdrossenheit. In Marseille packte die ganze Truppe regelrecht der Trübsinn: Wir besuchten eine Aufführung auf dem Dach eines Gebäudes, und zwar Le Teck von Maurice Béjart, und meiner Mutter liefen Tränen aus den Augen. Es folgten lange Gespräche, die die ganze Nacht anhielten. Wir selbst, wir waren hin und weg. Diese Art von Pas de Trois mit dem enormen Kiefer, der sich um die Tänzerin schloß, hatte uns gepackt. Anscheinend ging es über ihre Kräfte, Giselle zu tanzen, nachdem sie das gesehen hatten. Georges bekam in der Bar des Hotels einen fürchterlichen Wutanfall. Er rang nach Luft, zog eine Handvoll Papiere aus seiner Tasche, schwenkte sie unter der Decke und fragte die anderen, ob sie in ihrem Leben schon einmal eine Rechnung gesehen hätten, das sei sein tägliches Brot, und er könne ihnen noch mehr zeigen, wenn sie unbedingt wollten.
    »Die Avantgarde, das ist der Champagner!«

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